Minus CO2 – wenn nicht jetzt, wann dann?
Katharina Kittelberger
Weltweit werden pro Jahr etwa 400 Millionen Tonnen Kunststoff aller Art hergestellt. Die Probleme hiervon sind weitreichend: Emissionen, giftige Nebenprodukte oder hoher Energieverbrauch sind nur einige wenige Beispiele. Insgesamt wurden bislang 6,3 Milliarden Tonnen Plastik produziert, wovon sich 70 % in der Natur befinden.
Torsten Becker und Christoph Hiemer wollten diese aktuelle Situation nicht länger tatenlos mitansehen, weshalb sie im Jahr 2017 das Startup carbonauten gründeten.
Mit ihren pyrolytisch produzierten Biokohlenstoffe und Pyrolyseöle aus Biomasseresten entwickelten die beiden ein für die chemische Industrie einzigartiges System, das deren CO2 Emissionen und Kosten sofort wirksam senkt, sowie die zügige Transformation hin zu ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit ermöglicht.
„minus CO2 ist meine Leidenschaft“, so Torsten. Im Interview mit 5-HT erklärt er wie deren Innovation funktioniert und wieso sie insbesondere für Firmen in den Bereichen Chemie, Bau, Kunststoffe, Agrarchemie, Pharma und Energie interessant ist.
Nicht weniger als die Welt mitzuretten – der Traum der carbonauten
Eine Zukunft, in der eine wachsende Wirtschaft und erreichte Klimaziele keinen Widerspruch darstellen, ist laut Torsten möglich. „Voraussetzung hierfür ist eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft, die auf unserem neuartigen System beruht. Das besondere hierbei ist, dass kein CO2 verursacht wird. Im Gegenteil: In den sogenannten von uns entwickelten Negative-Emission-Technology (NET)- Materials® wird dieses CO2 sogar gespeichert.“
Damit können die carbonauten die Industrie dabei unterstützen, den Weg in eine CO2-ärmere Zukunft schon heute einzuschlagen.
Einmal heruntergebrochen: Wie genau funktioniert euer Konzept?
Hier erkennt auch Torsten an, dass das Thema durchaus abstrakt ist. Trotzdem erklärt er: „Im Prinzip entziehen wir der Atmosphäre dezentral und industriell CO2 und speichern dieses dauerhaft in unseren NET- Materials®. Diese bestehen aus pyrolytisch produzierten Biokohlenstoffen und verschiedenen Bindern.“
Jede Tonne carbonauten-Biokohlenstoff speichert dauerhaft bis zu 3,3 Tonnen CO2.
Diese Biokohlenstoffe und Pyrolyseöle werden aus Biomasseresten und Problemstoffen gewonnen. Damit können viele erdölbasierte Materialien, Produkte und Systeme wie beispielsweise aus dem Kunststoffbereich, der Agrarchemie sowie der Pharmaindustrie ergänzt oder sogar ersetzt werden. Sie erzeugen neue Eigenschaften und haben enormes F & E-Potenzial, stehen im Einklang mit der Natur und sind kostengünstig dezentral herstellbar.
Das carbonauten-System als CO2-Lösung für die IndustrieWir verkaufen unsere Technologie nicht, sondern betreiben Produktionsstandorte, wo diese Kohlenstoffe dezentral hergestellt werden.
„Unser Verfahren“, fügt Torsten hinzu, „ist auch kürzlich vom Potsdam-Institut für Klimaforschung als eines von sechs Negative-Emission Technologien anerkannt worden.“
Gibt es ein konkretes Beispiel, an dem euer Konzept anschaulich erklärt werden kann?
„Da gibt es einige. Am Beispiel von Bio-Grilkohle, auch Terra Preta, kann das Konzept der CO2-Senke folgendermaßen erklärt werden: Ein Baum besteht zu 50 % aus Kohlenstoff. Wenn dieser nach seinem Lebensende verwittert, gelangt das CO2 wieder in den natürlichen Kreislauf. Genau diesen Prozess unterbrechen wir mit der Pyrolyse, indem wir einen Biokohlenstoff, in diesem Fall in Form von Grillkohle herstellen. Dieser wird dann mit Kompost zu einem dauerhaft fruchtbaren, wasser-, nährstoff und CO2-speichernden Bodensubstrat wird. Der Biokohlenstoff bleibt hunderte, gar tausende von Jahren erhalten, was die CO2-Senkung bewirkt.
Außerdem forschen wir aktuell daran, wie Windkraftflügel nach deren kurzer Lebenszeit von nur 15 – 20 Jahren, wiederverwertet werden können. Unser Lösungsansatz ist diese zu schreddern und im Folgenden zu karbonisieren“, erklärt Torsten. Durch diesen Vorgang werden die Windkraftflügel wieder in deren ursprüngliche Grundbausteine aufgespalten.
Unser Kern: Einfachheit. Nur wenn Dinge einfach sind, funktionieren auch wirklich.
„So haben wir die Möglichkeit verschiedene Biomassereste zu nutzen, um Biokohlenstoffe herzustellen.“
Was genau sind das für Biomassereste? Und was könnt ihr daraus wiederum herstellen?
„Vorweg sind geeignete Biomassereste weltweit verfügbar“, betont Torsten. Im Weiteren führt er aus: „Unsere robuste, pyrolytische Technologie zum Karbonisieren ermöglicht die Herstellung spezifischer Biokohlenstoffe aus unterschiedlichen, holzartigen Biomasseresten der Forst-, Landwirtschaft-, Lebensmittel- und Holzindustrie“.
Als Beispiele lassen sich hier Abschnitte aus dem Sägewerk, Hackschnitzel, alle Arten von Nussschalen und Kernen sowie Pressreste von Ölen nennen. „Es sind aber auch Problemstoffe, wie der holzige Teil von Grünschnitt und Siebüberläufe aus der Kompostierung. All diese Materialien sind oftmals Abfälle, die entweder verrotten, verbrannt oder vergraben werden“, ergänzt er.
„Aus diesen Materialien stellen wir dann Produkte wie beispielsweise Bio-Grillkohle, Aktiv- und Futterkohle aber auch Dünger oder Kunststoffe, her.“
Die herkömmlichen Industrien ins Wanken bringen. Welche Alternative bietet ihr, um das zu erreichen?
„Besonders hier wird wieder deutlich, wie wir über diesen Weg dauerhaft eine Senkung von CO2 erzielen können: Denn durch die Kombination von herkömmlichen Kunststoffen mit unseren carbonauten-Kohlenstoffen, können fossile Polymere eingespart werden.“
Somit wird weniger Erdöl und Raffinerie benötigt, was schlussendlich eine CO2-Senkung bedeutet. Doch es wird noch besser: „Außerdem erhalten unsere fertigen Kunststoffe neue Eigenschaften. Diese werden nämlich UV-Stabiler, härter, präziser, leichter, günstiger und um ein Vielfaches temperaturbeständiger.“
carbonauten-Kunststoffe halten bis zu 500°C aus. Das schafft kein herkömmlicher Kunststoff.
„Dabei sind die Anwendungsbereiche, in denen unser System angewendet werden kann, riesig“, betont Torsten. „Neben Märkten wie Kunststoff, Agroforstwirtschaft, Pharma, Bau sind unsere exemplarischen Zielmärkte auch die Transport- und Schwerindustrie sowie die Energiewirtschaft.“
Ein Vorteil jagt den nächsten: weitere Gewinne aus der carbonisierung
Die NET-Biomaterialien sind gegenüber erdölbasierten Materialien nicht nur ökologischer, sondern auch ökonomischer. So entsteht bei deren Herstellung beispielsweise grundlastfähige, überschüssige und erneuerbare Energie.
„Aus diesem Grund müssen unsere zukünftigen Stahlbau-Werke auch nicht extern beheizt werden, sondern laufen von allein“, lacht Torsten.
Unsere Werke produzieren bis zu 850 °C an überschüssiger Energie.
Von der in den Werken generierten Energie werden lediglich ca. 5 % für den Vorgang der Karbonisierung benötigt. Weitere 5 % gehen durch Abwärme verloren. Doch die verbleibenden 90 % an überschüssiger Energie können verkauft werden.
„Zusammenfassend entstehen aus den Biomasseresten neben den Biokohlenstoffen und der erneuerbaren Energie auch noch hochwertige Öle und CO2-Zertifikate“, erklärt Torsten. „Unternehmen können sich diese CO2-Zertifikate ausstellen lassen, und wiederum am Markt verkaufen.“
Aus all diesen Faktoren generieren die carbonauten ihren Gewinn.
Das Ergebnis der carbonauten-Innovation ist Disruption
Denn je mehr Kunststoffe aus NET-Materialien eingesetzt werden, desto besser ist das sowohl für die Umwelt als auch für die Wirtschaft. „Durch die dauerhafte Speicherung von CO2 reduzieren wir nicht nur Klimagase“, so Torsten, „sondern eben auch die Anteile an fossilen und biogenen Polymeren.“
Ein weiterer positiver Nebeneffekt hierbei ist, dass der Prozess keine Konkurrenz zu Lebensmitteln oder Ackerland darstellt, weil die Produkte durch Biomassereste erzeugt werden. So ist das Konzept der carbonauten durch seine hohe Funktionalität nicht nur attraktiv für die Wirtschaft, sondern auch kompatibel mit allen Kunststoffverarbeitungstechnologien, wie beispielsweise Extrusion, Spritzguss oder Schäumen.
Ein großartiges Konzept. Gab es auf dem Weg dorthin Rückschläge?
„Da gab es einige“, schmunzelt Torsten. „Was uns die größten Schwierigkeiten bereitete war der Faktor Finanzierung. Leider liegt hier meiner Meinung nach ein fundamentales Problem: Investoren sind in der Regel Betriebswirte, wohingegen Startups aus risikofreudigen Wissenschaftlern bestehen. Diese beiden sprechen unterschiedlichsten Sprachen“, so Torsten.
So antwortet er auf die Frage, wo denn die Risiken seien, mit der Gegenfrage „Lass und doch über die Chancen sprechen.“
Unsere Abenteuerlust spiegelt sich in unserer Hartnäckigkeit: Wir lassen und nicht beirren.
„Auf diese Mentalität sind wir auch enorm stolz. Zwar wurde der Bau unserer ersten Stahlbauanlage in Deutschland dieses Jahr finanziert, aber trotzdem ist das Geld aktuell noch knapp“, so Torsten. „Wir sind aber ein solidarisches Unternehmen. Von solchen Faktoren lassen wir und nicht beeinflussen.“
Netzwerke und Standorte durch 5-HT ausbauen
Diese Aspekte erhoffen sich die carbonauten von der Zusammenarbeit. „Die Chemieindustrie passt sehr gut zu dem, was wir machen. Darum sehen wir in der Kooperation mit 5-HT Chancen, um unsere Produkte in genau diesem Bereich bekannter zu machen“, erklärt Torsten.
Darüber hinaus sieht er viele Vorteile in der Zusammenarbeit mit anderen Startups, zu denen der Kontakt über das Netzwerk von 5-HT hergestellt werden kann. „Wir haben bereits geniale Startups mit riesigen Ideen kennengelernt“, so Torsten, „es ist spannend durch 5-HT an der Quelle zu sein.“
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