„Wir machen aus Robotern Geckos“

Judith Hillen

Startup Stories

Im Zoo hat sicherlich jeder schon einmal einem Gecko dabei zugesehen, wie er auf wundersame Weise senkrecht die Glasscheibe seines Terrariums hochläuft. Das Startup INNOCISE, das Teil des Netzwerks von 5-HT ist, überträgt diesen Effekt von der Natur in die Industrie: Inspiriert von den feinen Mikrostrukturen an den Füßen von Geckos entwickelt INNOCISE innovative Haftsysteme, mit denen sich die unterschiedlichsten Gegenstände präzise, rückstandsfrei und energiesparend greifen und bewegen lassen. Im Interview mit 5-HT erklärt CEO und Co-Founder Dr. Marc Schöneich, welche Vorteile INNOCISE im Vergleich zu klassischen Greifsystemen bietet und wie sich damit zum Beispiel die Laborautomatisierung in Pharmaunternehmen vorantreiben lässt.

INNOCISE TeamINNOCISE Team

Was ist die Idee von INNOCISE?

INNOCISE ist ein Spin-off des Leibniz-Instituts für Neue Materialien in Saarbrücken, das sich mit bioinspirierten Adhäsionsmechanismen beschäftigt. Wir haben ein Greifsystem entwickelt, mit dem wir aus Robotern Geckos machen. Unsere Technologie baut auf der jahrzehntelangen Forschung im Leibniz-Institut für Neue Materialien auf, wo unter der Leitung von Prof. Eduard Arzt untersucht wurde, welche biologischen Adhäsionsmechanismen wir aus der Natur übernehmen können. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Vorbild des Geckos besonders interessant für industrielle Anwendungen ist. Vor eineinhalb Jahren wurde deshalb INNOCISE gegründet, um diesen Effekt mit skalierbaren Produkten in den Markt zu bringen.

Wie hilft das Vorbild des Geckos dabei, bessere Greifsysteme zu entwickeln?

Warum der Gecko so gut auf Oberflächen haftet, wissen wir aus der Forschung: Das liegt an den Van-der-Waals-Kräften, die zwischen den winzigen Härchen an den Füßen des Geckos und der Kontaktoberfläche entstehen. Wenn unsere Haut so strukturiert wäre wie bei einem Gecko, könnten wir ohne Probleme einen Tisch hochheben, wenn wir nur die Hand auf die Holzplatte legen. Nach dem Prinzip des Geckos entwickeln wir bei INNOCISE nun innovative Greifsysteme für verschiedene Oberflächen und Handling-Applikationen. Wir bauen dabei jedoch nicht den Roboter und auch nicht den Greifer, sondern lediglich die Fingerkuppe des Greifers. Dies hat den Vorteil, dass wir uns an jede beim Kunden vorhandene Anlage anpassen können und eine Integration unserer Gecomer® Technologie schnell und kostengünstig realisierbar ist. Für die unterschiedlichen Einsatzbedingungen unserer Kunden verwenden wir dabei unterschiedliche Mikrostrukturen und Materialien.

Nach dem Vorbild feinstrukturierter Haftorgane des Geckofußes wurden hochpräzise und schaltbare Haftstrukturen entwickelt, die im Handling von Bauteilen Anwendung findenNach dem Vorbild feinstrukturierter Haftorgane des Geckofußes wurden hochpräzise und schaltbare Haftstrukturen entwickelt, die im Handling von Bauteilen Anwendung finden

Was lässt sich mit den Greifsystemen von INNOCISE greifen?

Bei dieser Frage erkläre ich immer gerne als Erstes, was wir nicht greifen können: Unser Ziel ist es nicht, ein öliges Stahlblech von A nach B zu heben – dafür gibt es andere Lösungen. Was wir allerdings sehr gut greifen können, sind glatte, sensible Oberflächen, bei denen eine hohe Präzision und ein rückstandsfreies Greifen nötig sind. In Bezug auf die Größe sind wir sehr flexibel – wir können sowohl extrem kleine Gegenstände wie zum Beispiel Mikro-LEDs oder Glasfasern als auch 15 m² große Glasscheiben oder Karosseriebauteile greifen.

Welche verschiedenen Anwendungsbereiche gibt es für die Systeme von INNOCISE?

Wir haben drei Anwendungsbereiche: Erstens bieten wir Greifsysteme für die kollaborative Robotik an, und zweitens statten wir Roboterzellen und Linearachsen mit unserem System aus. In diesem makroskopischen Bereich haben wir schon viele spannende Anwendungen realisiert, zum Beispiel mit strategischen Kunden in der Pharma- und Verpackungsindustrie. Hierfür arbeiten wir auch mit SCHUNK zusammen, dem Markt- und Innovationsführer im Bereich Greifsysteme, der ein Produkt mit unserer Technologie unter dem Namen SCHUNK ADHESO vertreibt. Der dritte Bereich, den wir zurzeit als das Wachstumssegment unserer Technologie sehen, ist das Mikrohandling: Beispielsweise für elektronische Bauteile im einstelligen Mikrometerbereich gibt es kaum Alternativen zu unserer Technologie, denn klassische Saugsysteme können bei dieser Größe keinen ausreichenden Unterdruck erzeugen, und Zweifingergreifer schaffen es nicht, so kleine Bauteile überhaupt zu greifen. Deshalb ist dieser Bereich für uns sehr spannend.

Inwiefern sind die Haftsysteme von INNOCISE auch für die Pharmaindustrie relevant?

Die Pharmabranche steht für uns auf Platz eins der Branchen, in denen wir großes Potenzial für unsere Lösung sehen. Unsere Haftsysteme sind vor allem im Bereich Laborautomatisierung relevant, denn durch das präzise und rückstandsfreie Greifen sind sie besonders gut für den Einsatz unter Reinraum- und Laborbedingungen geeignet. Dabei geht es zum Beispiel um sterile Verpackungen, Spritzen oder Behälter, die nur an ganz bestimmten Stellen gegriffen werden sollten und dabei nicht beschädigt oder verunreinigt werden dürfen. Für Pharmaunternehmen, die Interesse an unserer Lösung haben, können wir gerne eine kostenfreie Machbarkeitsstudie durchführen.

Anwendung in der Pharmaindustrie: Rückstandsfreies Greifen unter Reinraum- und LaborbedingungenAnwendung in der Pharmaindustrie: Rückstandsfreies Greifen unter Reinraum- und Laborbedingungen

Was sind die Hauptvorteile von INNOCISE im Vergleich zu herkömmlichen Greifsystemen?

Ein großer Vorteil ist das sensitive Greifen, bei dem keinerlei Rückstände entstehen und der Gegenstand nicht beschädigt wird. Ein besonders wichtiger Punkt ist auch, dass unsere Systeme keine externe Energie benötigen. Unsere Kunden müssen also keine Kabel, keine Batterien und vor allem keine Druckluftversorgung einrichten. Dadurch können sie nicht nur erhebliche Kosten sparen, sondern auch ihre Emissionen reduzieren und ihre Produktion nachhaltiger machen. Außerdem können unsere Systeme unter reduzierter Atmosphäre arbeiten und sind damit auch für Vakuumanwendungen in modernen Produktionsanlagen geeignet. Darüber hinaus sind die Systeme sehr flexibel – nicht nur was die Größe der Bauteile angeht, sondern auch was die unkomplizierte Integration mit verschiedenen Robotern oder Linearachsen betrifft. Der Vorgang des Greifens und Loslassens läuft mit unseren Produkten sehr schnell ab. Anders als bei Vakuum- oder Zweifingergreifern müssen wir nicht erst warten, bis sich ein Unterdruck aufgebaut hat oder die Finger zugegriffen haben, denn die Van-der-Waals-Kräfte sind sofort da. In der Herstellung achten wir außerdem von Anfang an darauf, dass die verwendeten Kunststoffe recycelbar sind, sodass unsere Produkte so grün wie möglich sind.

Was sind die nächsten Ziele für INNOCISE?

Mit dem Produkt SCHUNK ADHESO, das nun kommerziell verfügbar ist, wollen wir gut in den Markt starten, an Sichtbarkeit gewinnen, weitere Kunden adressieren und dadurch neue Standards in der Industrie setzen. Darüber hinaus beschäftigen wir uns zurzeit intensiv mit dem Bereich Mikrohandling, in dem wir unsere Lösungen ständig weiterentwickeln und auf der Suche nach zusätzlichen Kunden in unseren Zielmärkten sind.

Wie kann 5-HT euch auf eurem weiteren Weg unterstützen?

Wir freuen uns darauf, uns mit anderen jungen Unternehmen oder weiteren Akteuren aus dem Netzwerk von 5-HT auszutauschen. Falls wir uns dafür entscheiden, noch einmal eine Kapitalerhöhung durchzuführen, um unser Wachstum zu beschleunigen, wäre es sicherlich auch interessant, dafür Kontakte mit Corporate VCs aus der Chemie- oder Pharmaindustrie zu knüpfen. Außerdem sind wir immer offen für Menschen, die sich für unsere Technologie interessieren und gerne mehr darüber erfahren würden – zum Beispiel im Rahmen eines Praktikums oder als Teil des Teams von INNOCISE.

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