„Wir bringen standardisierte Diagnostik bis in die kleinste Praxis“
Judith Hillen
Um die richtige Diagnose zu stellen, um den Zustand eines Patienten zu untersuchen oder um den Therapieverlauf zu verfolgen: Tests sind wichtige Hilfsmittel für Ärzte, Psychotherapeuten oder Ergotherapeuten. Heute werden solche Assessments in der Regel mit Stift und Papier durchgeführt. Dafür braucht es endlich eine digitale Lösung, finden die Gründer von insight.out, einem Startup aus Kaiserslautern, das Teil des Netzwerks von 5-HT ist. Deshalb haben sie die testbox entwickelt, eine Plattform zur digitalen Durchführung von Testverfahren inklusive automatischer Echtzeit-Auswertung, die seit Kurzem als Medizinprodukt zugelassen ist.
In diesem Interview erzählen Franca-A. Rupprecht und Andreas Schneider, zwei der drei Gründer des Startups, welche Vorteile die digitale Durchführung von Tests bietet – und wie Therapeuten ihre E-Health-Plattform kostenlos testen können.
Andreas Schneider und Franca-A. Rupprecht, zwei der drei Gründer des StartupsWas ist das Problem daran, dass Testverfahren in der Psychotherapie oder Ergotherapie heutzutage meist mit Stift und Papier durchgeführt werden?
Andreas Schneider: Weil die Tests in Papierform genutzt werden, müssen die Therapeuten sie zunächst bestellen und auf die Lieferung warten. Das heißt, in dem Moment, in dem sie während einer Sprechstunde merken, dass sie einen bestimmten Test gebrauchen könnten, haben sie diesen oft nicht vorrätig. Außerdem sind die Preise teilweise sehr hoch und es sind häufig nur größere Bestellmengen möglich, sodass gerade kleinere Praxen es sich nicht unbedingt leisten können, mit Tests zu arbeiten. Dazu kommt noch, dass manche Verfahren sehr aufwendig in der Auswertung sind. Das führt in Summe dazu, dass in den Praxen häufig keine standardisierten Assessments durchgeführt werden, obwohl eigentlich sehr gute Tests zur Verfügung stehen.
Wie hilft eure testbox dabei, diesen Missstand zu beheben?
Franca-A. Rupprecht: Die testbox ist eine Online-Plattform, auf der Therapeuten und Ärzte verschiedene Testverfahren direkt erwerben, digital durchführen und automatisiert auswerten lassen können. Wenn der Therapeut sich unsicher ist, welches Verfahren sich zur Diagnosestellung, Untersuchung oder Therapieverfolgung eignet, kann er verschiedene Suchbegriffe eingeben, um herauszufinden, welche Tests in den entsprechenden Bereichen eingesetzt werden können. Sobald er sich für ein Verfahren entschieden hat, kann er den Test seinem Patienten zuweisen, der ihn auf einem beliebigen digitalen Endgerät bearbeiten kann. Daraufhin wird das Assessment sofort automatisch ausgewertet, sodass der Therapeut innerhalb weniger Klicks ein Ergebnis erhält, an dem er seine Therapie ausrichten kann.
Ein Blick in die testboxWelche Arten von Tests können in der testbox digital durchgeführt werden?
Andreas Schneider: Hauptsächlich richten wir uns aktuell an Psychotherapeuten und Ergotherapeuten. Zurzeit bauen wir aber auch unser Angebot für Logopäden weiter aus. In diesen Bereichen können die unterschiedlichsten Krankheitsbilder abgefragt werden: Demenz, ADHS, motorische Störungen und viele weitere Auffälligkeiten.
Franca-A. Rupprecht: Die Grundfunktionalität sind Fragebögen, aber darüber hinaus bieten wir auch neurokognitive Tests an, mit denen zum Beispiel durch die Messung von Reaktionszeiten kognitive Prozesse erfasst werden können. Dadurch können wir Defizite oder Auffälligkeiten identifizieren, die weit über das hinausgehen, was mithilfe von reinen Fragebögen festgestellt werden kann.
Patienten Anwendung auf TabletWie kam es zur Gründung eures Startups?
Franca-A. Rupprecht: Nach meiner Promotion in der Mensch-Computer-Interaktionsforschung habe ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Kaiserslautern zusammen mit Andreas an einem Projekt zum Thema Cognitive Load gearbeitet. Im Laufe dieses Projekts haben wir festgestellt, dass wir ein neurokognitives Testverfahren brauchen, mit dem wir die Arbeitsprozesse im Gehirn, die hinter dem Cognitive Load stecken, erfassen können. Dieses Testverfahren brauchten wir unbedingt in digitaler Form, um mit dem Computer direkt auf den kognitiven Zustand des Menschen reagieren zu können. Weil es den Test zu dem Zeitpunkt aber nicht digital gab, haben wir ihn einfach schnell selbst digitalisiert. Daraufhin kamen der Lehrstuhl für Cognitive Science und der Lehrstuhl für Psychologie auf uns zu und fragten uns, ob sie diesen digitalen Test auch benutzen dürften. So haben wir recht zufällig eine Marktlücke entdeckt – denn es stellte sich heraus, dass es kein Einzelfall war, dass psychologische Testverfahren nicht in digitaler Form verfügbar waren. Zusammen mit dem Psychologen Jan Spilski, der ebenfalls an dem Forschungsprojekt beteiligt war, haben wir uns deshalb im Januar 2020 zur Gründung von insight.out entschieden.
Was waren die größten Herausforderungen bei der Entwicklung der testbox?
Franca-A. Rupprecht: Das Schwierigste war nicht der Aufbau der Plattform an sich, sondern die vielen Regularien, die dabei zu beachten waren. Aufgrund der DSGVO mussten wir ein strenges Sicherheitskonzept entwickeln, um die sensiblen Daten unserer Nutzer zu schützen. Auch die Qualitätssicherung war für uns eine Herausforderung: Weil wir für die Tests mit vielen verschiedenen Autoren zusammenarbeiten, mussten wir Qualitätskriterien definieren, nach denen wir beurteilen, ob wir ein Verfahren in unsere Plattform aufnehmen oder nicht. Darüber hinaus war die Zertifizierung zum Medizinprodukt ein sehr aufwendiger Prozess.
Andreas Schneider: Nun erfüllt die testbox alle Voraussetzungen und Anforderungen der DSGVO und der Medizinproduktverordnung. Über 80 validierte und qualitativ hochwertige Testverfahren warten jetzt auf ihren Einsatz in der Praxis.
Wodurch unterscheidet sich die testbox von anderen Lösungen, die bereits auf dem Markt sind?
Andreas Schneider: Bei anderen Produkten sind die Einstiegshürden oft sehr hoch. Zum Beispiel müssen hohe Lizenzgebühren gezahlt werden oder es wird spezielle Hardware benötigt. Im Gegensatz dazu haben wir es uns zum Ziel gesetzt, ein möglichst niedrigschwelliges Modell anzubieten: Unsere Plattform ist webbasiert und funktioniert auf jedem Endgerät, sodass die Tests auch von zu Hause aus durchgeführt werden können. Weil wir ein Pay-per-Test-Modell anbieten, fallen außerdem keine fixen Kosten an. Alle Therapeuten, die unsere Plattform intensiver nutzen möchten, können sich auch für ein günstiges Lizenzmodell entscheiden.
Franca-A. Rupprecht: Darüber hinaus bieten wir ein vollumfängliches Angebot, das es so auf dem Markt noch nicht gibt. Andere Produkte enthalten zwar auch digitale Fragebögen, aber die wenigsten integrieren Verfahren, die den Klienten tatsächlich untersuchen, wie es bei unseren neurokognitiven Assessments der Fall ist. Außerdem schaffen wir zusätzliche Mehrwerte durch die Parameter, die wir erfassen. Beispielsweise können wir die Augenbewegungen des Nutzers messen, was wichtige Informationen für die Validierung des Testverfahrens liefert. Wenn wir zum Beispiel feststellen, dass ein Kind die ganze Zeit über nicht auf den Bildschirm, sondern in die Luft geschaut hat, dann wissen wir, dass die Ergebnisse nicht valide sind. Das steigert die Aussagekraft der Tests enorm.
Wie können Therapeuten herausfinden, ob die Nutzung der testbox für sie das Richtige ist?
Franca-A. Rupprecht: Interessierte Therapeuten können die testbox ganz unverbindlich ausprobieren, indem sie sich für die kostenlose Demo-Version registrieren. Hier können zwar noch keine echten Patientendaten erhoben werden, die meisten Funktionen und viele Verfahren stehen dem Therapeuten jedoch ganz ohne Gebühren zum Testen zur Verfügung.
Seit Kurzem seid ihr bei 5-HT dabei. Was erhofft ihr euch davon, Teil unseres Netzwerks zu sein?
Andreas Schneider: Für uns ist es immer interessant, Kontakte in die Medizinbranche zu knüpfen und uns mit Know-how-Trägern auszutauschen. Wir sind uns sicher, dass wir mit unserer Lösung einen echten Mehrwert bieten können, aber es gibt immer das Potenzial, sich zu verbessern oder einzelne Aspekte neu zu denken. Bald gehen wir außerdem in eine Finanzierungsrunde, für die wir auf der Suche nach Investoren sind.
Franca-A. Rupprecht: Darüber hinaus freuen wir uns über Kontakte in Krankenkassen und Pharmaunternehmen. Auch wenn es hier andere Anwendungsfälle als beim Psychotherapeuten oder beim Ergotherapeuten gibt, sehen wir auch in diesen Bereichen ein großes Potenzial für digitale Testverfahren. Deshalb freuen wir uns über Einblicke, Ideen und Informationen, um herauszufinden, ob diese Märkte für uns sinnvoll sind.
Wie sieht eure Vision für die Zukunft von insight.out aus?
Franca-A. Rupprecht: Mit unseren digitalen Testverfahren wollen wir die Qualität der Diagnostik verbessern und dadurch einen nachhaltigen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben.
Andreas Schneider: Wir bringen professionelle, standardisierte Diagnostik bis in die kleinste Praxis!
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