Wie Digitalisierung die Stomatherapie verbessern kann
Judith Hillen
Als Krankenpfleger auf einer chirurgischen Station hat Jan-Hendrik Träger selbst miterlebt, welche Probleme es häufig bei der Therapie von Stomapatienten gibt. Zusammen mit Patrick Roth und Ingmar Fröhlich hat er deshalb in Kaiserslautern das Startup ICE Tech (StomAware) gegründet, das Teil des Netzwerks von 5-HT ist und das es sich zum Ziel gesetzt hat, mit einer Kombination aus Software und Hardware die Versorgung von Stomapatienten zu verbessern.
Im Interview mit 5-HT erzählen die drei Gründer, wie ihr erstes Produkt StomaGuard dabei hilft, das Abplatzen des Stomabeutels zu verhindern – was nicht nur den Pflegeaufwand verringert, sondern auch zu einer höheren Lebensqualität der Patienten beiträgt.
Die drei Gründer des Startups ICE Tech (StomAware) (v.l.n.r.): Ingmar Fröhlich, Jan-Hendrik Träger und Patrick Roth
Mit welchen Problemen haben Stomapatienten im Alltag zu kämpfen?
Jan-Hendrik Träger: Ein Stoma ist ein künstlicher Darmausgang, der am Bauch angelegt wird, zusammen mit einem Beutel, der die Verdauungssekrete auffängt. Sobald dieser Beutel einen bestimmten Füllstand erreicht hat, muss er geleert werden. Andernfalls kann es passieren, er abplatzt, denn aus dem Darm kommen nicht nur Verdauungssekrete, sondern auch Luft, sodass der Beutel sich mit der Zeit aufbläht. Gerade in der Anfangsphase entwickeln viele Stomapatienten deshalb Schlafstörungen. Für viele ist es auch eine Herausforderung, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, wenn sie nicht wissen, wo die nächste Toilette ist. Wir haben mit Patienten gesprochen, die sagen, dass sie immer eine Ersatzgarnitur Kleidung dabeihaben, weil sie Angst haben, dass der Beutel abplatzen könnte. Weil dieses Thema extrem schambehaftet ist, ziehen sich viele Stomapatienten aus dem öffentlichen Leben zurück. Deshalb wollen wir den Betroffenen mithilfe einer digitalen Lösung eine höhere Lebensqualität ermöglichen.
Wie können Stomapatienten mit eurem Produkt eine bessere Kontrolle über ihren Stomabeutel erlangen?
Jan-Hendrik Träger: Unsere Lösung StomaGuard bietet den Patienten eine zusätzliche Kontrollebene, ohne dass sie aktiv etwas dafür tun müssen. Am Stomabeutel wird ein Sensor befestigt, der kontinuierlich den Füllstand des Beutels misst und die Daten an eine mobile Anwendung überträgt. In dieser App können die Patienten individuell einstellen, ab welchem Füllstand sie benachrichtigt werden wollen. Zum Beispiel können sie sagen: Beim Sport soll das Handy klingeln, wenn der Beutel zu 50 Prozent gefüllt ist, aber nachts reicht es mir, bei 80 Prozent Bescheid zu wissen. Der StomaGuard soll allerdings nicht nur diese Kontrollfunktion bieten, sondern darüber hinaus zusätzliche Mehrwerte schaffen, zum Beispiel mit einem Toilettenfinder, mit dem der Nutzer öffentliche Toiletten in seiner Nähe finden kann, oder auch mit therapeutischen Ansätzen. Je nachdem, wie oft der Beutel geleert wird, kann die App zum Beispiel den Tipp geben, mehr Ballaststoffe zu sich zu nehmen, und direkt passende Rezepte zur Verbesserung der Verdauung vorschlagen.
Wie kann StomaGuard auch im klinischen Setting dabei helfen, die Versorgung von Stomapatienten zu verbessern?
Jan-Hendrik Träger: Wenn im Krankenhaus bei einem Pflegebedürftigen der Stomabeutel abplatzt, ist das nicht nur unangenehm für den Patienten, sondern bedeutet auch einen hohen Aufwand für die Pflege. Denn die Pflegekräfte müssen den Patienten beruhigen, ihn bei der Hygiene unterstützen, sein Bett neu beziehen und eventuell neue Wundverbände anlegen. Mit einem Tablet im Stationszimmer, auf dem mithilfe von StomaGuard der Zustand aller Stomabeutel auf der Station überwacht werden kann, können wir die Versorgungsqualität erheblich verbessern und den Arbeitsaufwand für Pflegekräfte deutlich reduzieren.
Wie kam es zur Gründung eures Startups und zu der Entwicklung von StomaGuard?
Jan-Hendrik Träger: Ich bin selbst Fachkrankenpfleger und habe das Problem mit dem Abplatzen des Stomabeutels zum ersten Mal während der Ausbildung auf einer viszeralchirurgischen Station erlebt. Deshalb habe ich zusammen mit Patrick, der Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Entrepreneurship studiert hat, daran getüftelt, wie wir dieses Problem angehen könnten. Im Rahmen der Summer School des Gründungsbüros Kaiserslautern haben wir ein erstes Geschäftsmodell entwickelt, sind aber bei der Frage nach der technischen Umsetzung schnell an unsere Grenzen gestoßen. Deshalb haben wir Ingmar mit ins Team geholt, der Elektrotechnik studiert hat und deshalb die nötigen Kenntnisse im Hardware-Bereich mitbringt.
Wie weit seid ihr mit der Entwicklung von StomaGuard?
Ingmar Fröhlich: Momentan sind wir dabei, unseren Prototypen fertig zu entwickeln, den wir noch in diesem Jahr mit den ersten Patienten testen wollen. Wie schnell wir auf den Markt gehen können, hängt davon ab, ob wir in nächster Zeit einen Investor oder Entwicklungspartner finden, was die Entwicklung deutlich beschleunigen würde.
Welche Zielgruppen habt ihr für eure Lösung im Blick?
Jan-Hendrik Träger: Im ersten Schritt wollen wir an die Endkunden herantreten – dafür sind wir bereits mit einigen Stomapatienten im Austausch. Im zweiten Schritt ist unsere Lösung auch für das klinische Setting interessant. Deshalb wollen wir StomaGuard im Rahmen von Individualverträgen in Kliniken einbringen, wofür wir ebenfalls bereits mit einigen Stomatherapeuten in Kontakt sind. Langfristig streben wir eine Kassenfinanzierung an.
StomaGuard ist das erste Produkt unter eurer Marke StomAware. Mit welchen weiteren Produkten wollt ihr in Zukunft die Versorgung von Stomapatienten verbessern?
Jan-Hendrik Träger: In der Hilfsmittelversorgung, speziell in der Stomatherapie, gibt es eine Reihe von Problemen, die wir mithilfe von Digitalisierung lösen können. Das Abplatzen des Beutels ist das erste Problem, das wir identifiziert haben. Genauso problematisch ist aber auch der Hydrokolloidverband, mit dem der Stomabeutel auf der Bauchoberfläche befestigt wird, denn hier entstehen öfter Lecks, durch die Verdauungssekrete austreten können. Im Beutel selbst kommt es außerdem häufig dazu, dass die eingebauten Filter durch Flüssigkeiten verstopft werden. All diese Probleme können wir mit einer Kombination aus Hardware und Software lösen.
Kann eure Technologie auch in anderen Bereichen der Hilfsmittelversorgung eingesetzt werden?
Jan-Hendrik Träger: Die Technologie zur Füllstandmessung, die wir aktuell für den Stomabeutel entwickeln, kann auch auf andere flexible Beutel in medizinischen Anwendungen übertragen werden. Auf Intensivstationen leeren Pflegekräfte immer noch stündlich Urinbeutel und notieren die Flüssigkeitsmengen. Bei Drainagen, die an kritischen Stellen laufen, müssen sie alle paar Minuten kontrollieren, ob plötzlich Blut reinschießt. Das sind nur zwei Beispiele für Anwendungsfälle, die wir mit unserer Kombination aus Hardware und Software unterstützen können.
Was erhofft ihr euch davon, Teil des Netzwerks von 5-HT zu sein?
Patrick Roth: Für uns ist es vor allem interessant, mit potenziellen Investoren ins Gespräch zu kommen. Das können sowohl private Business Angels als auch Partner sein, mit denen wir die Entwicklung gemeinsam vorantreiben können. Wenn wir zum Beispiel mit einem großen Medizinproduktehersteller zusammenarbeiten könnten, der bereits über Vertriebsnetzwerke oder Produktionskapazitäten verfügt, würde das die Entwicklung von StomaGuard extrem beschleunigen. Hierbei können wir uns verschiedene Kooperationsmodelle vorstellen.
Ingmar Fröhlich: Außerdem freuen wir uns über Input und Feedback von Anwendern und Betroffenen. Bei der Entwicklung unseres Produkts ist es uns sehr wichtig, dass wir die Bedürfnisse des gesamten Kundenspektrums kennen und darauf Rücksicht nehmen – von den Selbstanwendern über die pflegenden Angehörigen bis zu den professionell Pflegenden.
Jan-Hendrik Träger: Generell ist externes Knowhow für uns extrem wertvoll. Deshalb freuen wir uns sehr auf den Austausch mit anderen Playern aus dem Netzwerk von 5-HT.
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