Strömungssimulationen neu denken mit cloudfluid

Katharina Kittelberger

Startup Stories

An welchen Stellen generieren Windräder am meisten Strom? Wie sollten Computer durchströmt werden, damit diese nicht überhitzen? Und wie kann Wasserstoff sicher in einen kompakten Speicher gelangen? Alle diese Aufgaben haben zwei Aspekte gemeinsam: Sie befassen sich mit Strömungen und sie können mit Simulationen von cloudfluid gelöst werden. cloudfluid, ein 2021 gegründetes Hightech-Startup, hat einen völlig neuen Weg entwickelt, Strömungssimulationen (engl. computational fluid dynamics, kurz “CFD”) anzugehen und bietet seinen Kunden diese maßgeschneidert als Software-as-a-Service Lösung an.
In Bezug auf die Anwendungsbereiche betont Geschäftsführer Dr.-Ing. Max Gaedtke: „Es gibt zahlreiche Fälle, wo Strömungsphänomene auftauchen, die messtechnisch häufig gar nicht oder nur schwer zugänglich sind. Wenn man hier wissen will, was man tut, welche Auswirkungen bestimmte konstruktive Entscheidungen haben oder wenn man optimieren will, dann ist es zielführend, unsere Simulationen einzusetzen.“ 

Im Interview mit 5-HT gewährt uns Max spannende Einblicke in die Anfänge des jungen Startups und erläutert, wie deren Technologie neben dem Maschinenbau und der Verfahrenstechnik auch in der Chemie- und Gesundheitsindustrie Anwendung findet. 

Dr.-Ing. Max Gaedtke, Geschäftsführer von cloudfluid

Herkömmliche Strömungssimulationen als Hürdenlauf 

Motivation für die Gründung von cloudfluid war die Identifikation von drei Hürden, die bisher den breiten Einsatz von Strömungssimulationen, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, limitierten: „Turbulenzen gehören zu den schwierigsten physikalischen Problemen, entsprechend sind die      Softwarewerkzeuge für Strömungssimulationen hochkomplex. Deswegen wird in der Regel ein Ingenieur benötigt, der sich speziell mit der jeweiligen Software samt den im Hintergrund ablaufenden Algorithmen auskennt. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Ergebnisse in der gewünschten Qualität und zuverlässig vorliegen.
Daneben bringen große Softwarepakete meist unflexible Jahreslizenzen mit sich“, erklärt Max.

Unser Ziel ist es, zu zeigen, dass Simulationen tiefe Erkenntnisse liefern. Gleichzeitig möchten wir niemanden in unflexible Lizenzverträge lenken, die auch finanzielle Hürden mit sich bringen.

Drittens ist die Rechenkapazität bei bisherigen Strömungssimulationen problematisch, denn je präziser Ergebnisse sein sollen, umso höher muss die Auflösung des Rechengebietes gewählt werden. Das führt zu langen Simulationszeiten und bedeutet für den Kunden konkret höhere Kosten, was Max mit der simplen Formel „Rechenzeit = Geld“ umschreibt. In manchen Fällen sind die Probleme auch schlicht so komplex, dass sie mit der zur Verfügung stehenden Hardware nicht wirtschaftlich gerechnet werden können.

cloudfluid überwindet diese Hürden. Wie genau gelingt euch das? 

„Der Kunde braucht keine teure Hardware zu kaufen - die Berechnungen finden in der Cloud statt. Der Kunde bezahlt, was er tatsächlich nutzt. Dabei verzichten wir konsequent auf inflexible Lizenzverträge oder Hardware-Investitionen. Wir setzen auf ein flexibles Pay-per-Use-Konzept“, erläutert Max. “Mit unserer Kombination aus maßgeschneiderten Smart Clients und Strömungslösern in der Cloud liefern wir unseren Kunden strömungsdynamische Analysen schneller und einfacher als zuvor.”

cloudfluid stellt, anders als herkömmliche CFD-Softwareanbieter, keine „One-Fits-All“-Softwareoberfläche zur Verfügung. Solche Lösungen behindern den Kunden häufig mehr als sie nutzen, da dieser aus einer Vielzahl an Modellen und zugehörigen Parametern auswählen muss – und die dazu notwendige Sachkunde muss erst erworben werden. Das kann ein langwieriger, fehleranfälliger und teurer Prozess sein.     

Mit unserem Werkzeugkasten aus Implementierungsvarianten stellen wir die Strömungsmodelle so zusammen, dass für den Kunden der beste Kompromiss aus Laufzeit, Präzision und Rechenkosten entsteht.

Dabei nähert sich der Kunde seinem erfolgreichen Simulationsmodell in drei Schritten an: Zunächst wird in einem Kick-Off Meeting der spezifische Anwendungsfall analysiert. „Dabei wird genau darauf eingegangen, wie Strömungssimulationen dem Kunden helfen, bessere Produkte zu entwickeln“, so Max.

Im weiteren Verlauf entwickelt und implementiert cloudfluid ein multiphysikalisches Modell basierend auf der Lattice Boltzmann Methode, das auf den jeweiligen Anwendungsfall zugeschnitten ist und die entsprechende ingenieurstechnische Fragestellung lösen kann. Die Vorteile der Lattice Boltzmann Methode sind neben vielen anderen insbesondere die automatisierte Vergitterung des Rechengebietes und die sehr performante zeitaufgelöste Simulation selbst komplexer turbulenter Strömungen – der cloudfluid Solver hat sich in einer Vorstudie bereits mehr als 250 mal so schnell wie ein marktüblicher Solver herausgestellt.

Im dritten Schritt entwirft cloudfluid auf Grundlage der individuellen Kundenbedürfnisse eine grafische Benutzeroberfläche, mit der der Kunde die Simulation dann selbständig durchführen kann.

Potenzielle Anwendungsbeispiele der cloudfluid-Strömungssimulations-Software: 1. Konjugierte Wärmeübertragung (CHT), 2. Fluid-Struktur-Interaktion (FSI), 3. Large Eddy Simulation (LES), 4. Phasenwechsel auf der Porenskala (siehe Quelle) 

Wer sind sowohl aktuelle als auch potenzielle cloudfluid-Kunden?

„Die Anwendungsmöglichkeiten unserer Technologie sind enorm vielfältig. Entsprechend unterschiedlich sind auch unsere Kunden“, erläutert Max, denn generell können mit unseren Erkenntnissen aus der numerischen Strömungssimulation Entwicklungen effizienterer Produkte in vielen verschiedenen Bereichen vorangetrieben werden. Konkrete Beispiele sind effizientere Batterien durch optimierte Kühlung, saubereres Wasser durch optimierte Hocheffizienz-Filter, effizientere Herstellungsverfahren durch optimierte Rührkessel oder höhere Ausbeuten durch optimierte Reaktoren.“ 

Zusammenfassend wird deutlich: Die cloudfluid-Lösung ist durch die flexible Abrechnung, durch die hoch effiziente Hardware in der Cloud und durch die modernen Algorithmen insbesondere für Unternehmen interessant, für die Investitionen in teure Software-Lizenzen und große Rechenkapazitäten nicht wirtschaftlich sind.

Weitere Vorteile vom maßgeschneiderten Strömungslöser: 

Durch eine effiziente Implementierung auf Highperformance-Grafikkarten (GPUs) rechnet cloudfluid nicht nur extrem schnell, sondern automatisiert die Prozesse auch vollständig. „Die damit erreichbare Beschleunigung der Berechnungen um den Faktor von mehr als 250 ermöglichen den Einsatz präziserer, multiphysikalischer Modelle, die mit üblichen Verfahren bisher große Investitionen in Rechenkapazitäten erfordert haben.

Die Smart Clients werden außerdem spezifisch auf das Strömungsproblem des Kunden zugeschnitten, sodass sie ohne jegliche CFD-Expertise bedient werden können, während die Qualität der Ergebnisse durch unsere Vorauswahl der Modelle und automatische Optimierung der numerischen Parameter garantiert wird. Das macht die Smart Clients vor allem im langfristigen Einsatz hoch attraktiv.“

Somit liefern die Simulationen von cloudfluid einen echten Mehrwert, denn Kunden können dadurch eine schnelle und digitale Entwicklung ihrer Produkte ohne physische Prototypen und mit weniger Experimenten vorantreiben. „Neben der präzisen Erfassung von experimentell unzugänglichen Parametern können auch physikalische Effekte isoliert betrachtet werden“, so Max. 

cloudfluid schaut auf ein erfolgreiches Jahr zurück und kommenden entgegen

„Mit unserem funktionierenden Solver und zugehörigem Workflow sind wir mittlerweile von der „Proof-of-Concept“- in die „Proof-of-Value“-Phase übergegangen. Außerdem haben wir parallel zu unseren derzeitigen Pilotkunden eine Reihe von vielversprechenden Gesprächen mit weiteren Interessenten geführt. Das Ziel ist, noch mehr Unternehmen von den Vorzügen unseres Geschäftsmodells zu überzeugen.“

In den kommenden 1 ½ Jahren möchten wir die „Proof-of-Value“-Phase erfolgreich abschließen, um im Folgenden eine Kundenbasis aufzubauen, die      einer Zusammenarbeit im beidseitigen Interesse sieht.

cloudfluid startet mit der Umsetzung seiner Geschäftsidee vorerst in Deutschland. Doch weil das Modell gut skalierbar ist, steht einer europäischen oder weltweiten Skalierung prinzipiell nichts im Wege. „Wir konnten bereits einen großen Cloudanbieter als Kooperationspartner gewinnen. Dieser kann uns die Rechenleistung auf GPUs weltweit zur Verfügung stellen. Dementsprechend können wir den Bedarf decken, wenn er kommt“, betont er.

Chancen im Bereich Gesundheit durch die Kooperation mit 5-HT

„Neben den bereits angesprochenen Anwendungsmöglichkeiten in der Chemieindustrie liefert auch die Gesundheitsindustrie potenziell hochinteressante Anwendungsfälle für Strömungssimulationen – neben der Medizintechnik auch in der Humanmedizin. In der digitalen Medizin wird ein immer schärferer Fokus auf individuelle Krankheitsbilder gelegt wird. Wenn ein Patient beispielsweise an einer Arterienverengung leidet, so kann unsere Technologie potenziell dabei helfen, einen passenden Stent für genau diesen Patienten zu evaluieren.“ 

Dieses Beispiel verdeutlicht gut, wie komplex die Forschung an lebenden Organismen generell ist, denn Experimente sind hier mit einem hohen Aufwand verbunden. cloudfluid kann diese vereinfachen, indem zusammen mit bildgebender Methodik dreidimensionale “digitale Zwillinge” von menschlichen Organen entwickelt werden: „Folglich können wir in Zukunft beispielsweise das Bild eines Herzens, einer Lunge oder Arterie mit Strömungsdaten ergänzen. Mit diesem simulierten, digitalen Blutstrom kann bereits vor einer Operation analysiert werden, welche Behandlung am geeignetsten für den jeweiligen Patienten wäre - was gleichzeitig zu mehr Sicherheit in den Behandlungsmethoden führt“, fasst Max zusammen.

Schließlich fügt er hinzu: „Wir haben gesehen, dass in eurem Netzwerk einige Gesundheits- und Chemiekonzerne sind, für die unsere Technologie interessant sein kann. Es wäre super, wenn wir über 5-HT Kontakte zu eben diesen Unternehmen bekommen.“

Bildquelle:
- Gaedtke, M., Wachter, S., Raedle, M., Nirschl, H., & Krause, M. J. (2018). Application of a lattice Boltzmann method combined with a Smagorinsky turbulence model to spatially resolved heat flux inside a refrigerated vehicle. Computers & Mathematics with Applications, 76(10), 2315-2329.

- Haussmann, M., Reinshaus, P., Simonis, S., Nirschl, H., & Krause, M. J. (2021). Fluid–Structure Interaction Simulation of a Coriolis Mass Flowmeter Using a Lattice Boltzmann Method. Fluids, 6(4), 167.
- Haussmann, M., Ries, F., Jeppener-Haltenhoff, J. B., Li, Y., Schmidt, M., Welch, C., ... & Sadiki, A. (2020). Evaluation of a near-wall-modeled large eddy lattice Boltzmann method for the analysis of complex flows relevant to ic engines. Computation, 8(2), 43.
- Gaedtke, M., Abishek, S., Mead-Hunter, R., King, A. J., Mullins, B. J., Nirschl, H., & Krause, M. J. (2020). Total enthalpy-based lattice Boltzmann simulations of melting in paraffin/metal foam composite phase change materials. International Journal of Heat and Mass Transfer, 155, 119870.

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