Smarte Algorithmen gegen leere Apothekenregale
Judith Hillen
Als Behandlungsmittel gegen den aktuellen pandemischen Coronavirus will das amerikanische Pharmaunternehmen Abbvie die Arzneistoff-Kombination Lopinavir/Ritonavir testen, die normalerweise gegen eine HIV-Infektion eingesetzt wird. Sollten die Tests erfolgreich sein, wäre in kürzester Zeit eine große Menge dieser Wirkstoffe notwendig. Doch die Hersteller, die meist in Asien sitzen, kommen durch die momentane Lage mit der Produktion nicht hinterher, sodass es zu Lieferengpässen kommen könnte. Und genau hier wollen die Gründer der Plattform QYOBO Abhilfe schaffen. Ihre Big-Data-Lösung bietet einen Überblick über Marktinformationen zu Tausenden Wirkstoffen und Chemikalien und hilft Pharmaunternehmen, mit diesen Daten ihre Ein- bzw. Verkaufsprozesse zu beschleunigen und bessere Entscheidungen zu treffen. Dr. Markus Felgenhauer, einer der Gründer und CEO des in München ansässigen Startups, erklärt im Interview mit 5-HT, wie QYOBO funktioniert und welche Vorteile die Nutzung mit sich bringt.
QYOBO v.l.n.r. Julian Ruß, Markus Felgenhauer, Eric ParzingerWie macht QYOBO die Arbeit in der Pharma- und Chemiebranche einfacher?
Wir schaffen Transparenz und Effizienz in diesen Branchen, indem wir weltweit verstreute Marktinformationen automatisiert verknüpfen und daraus Preise, Volumen und Markttrends bereitstellen. Ein Beispiel ist der Markt für Ibuprofen: Da werden weltweit im Jahr rund 35- bis 40.000 Tonnen verbraucht, aber es war in den vergangenen Jahren schwer, abzuschätzen, wie sich die Lieferverfügbarkeit und damit die Preise entwickeln. So hat sich beispielsweise der globale Durchschnittspreis für Ibuprofen von 14 USD/kg im April 2018 um gut 50 Prozent auf 21 USD/kg im April 2019 gesteigert. Aktuell liegt der Preis schon wieder bei 16 USD/kg. Das spielt natürlich eine enorme Rolle für alle Marktteilnehmer von den Lieferanten der Wirkstoffe bis hin zu den einkaufenden Pharmaunternehmen – und nicht nur zu Krisenzeiten.
Welche Informationen sind auf eurer Plattform einsehbar?
Wir bieten börsenähnliche Transparenz im Wirkstoff- und Chemiemarkt – wie haben sich die Preise entwickelt? Welche regionalen Unterschiede gibt es in Angebot und Nachfrage weltweit? Welche Anbieter und Käufer sind in den jeweiligen Märkten aktiv? Auf all diese Fragen, die sich Anbieter und Käufer in diesem globalen Markt tagtäglich stellen, bietet unsere Plattform eine aktuelle Antwort.
Was macht die Lösung von QYOBO besser als die bisherigen Methoden zur Informationsbeschaffung?
Durch die starken regulatorischen Bedingungen sind sehr umfangreiche Informationen über die Pharma- sowie Chemiebranche verfügbar. Die Herausforderung liegt allerdings darin, dass die Informationen in verschiedenen Datenbanken verstreut sind und in ganz unterschiedlichen Formaten, Taxonomien oder Sprachen vorliegen. Um daraus sinnvolle Erkenntnisse zu gewinnen, sind gegenwärtig tagelange Recherchen und Analysen in zahlreichen Excel-Tabellen erforderlich.
Beispielsweise spielen Zulassungen zur Wirkstoffherstellung eine große Rolle. Diese werden von verschiedenen regulatorischen Behörden, wie der European Medicines Agency (EMA) in der EU, der Food and Drug Administration (FDA) in den USA oder der Pharmaceuticals and Medical Devices Agency (PDMA) in Japan, erteilt. Die Herausforderung liegt darin, die Daten zu verknüpfen und stets zu aktualisieren, da darauf basierend weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Hierfür hat QYOBO smarte Algorithmen entwickelt.
Welchen Vorteil bringt QYOBO damit den Nutzern?
Der ganze Aufwand für die Datenaufbereitung entfällt, und es ist aufgrund der besseren Faktenlage möglich, deutlich nachhaltigere Entscheidungen in einem Bruchteil der Zeit zu treffen. Was uns besonders wichtig ist: Wir stellen nicht nur Marktinformationen zur Verfügung, sondern verbinden das mit den Workflow des Einkäufers bzw. Lieferanten. Zum Beispiel zeigen wir nicht nur die Preise für eine bestimmte Chemikalie oder einen bestimmten Wirkstoff an, sondern geben gleichzeitig die Möglichkeit, die eigenen Preise zu benchmarken und mit passenden Handelspartnern in Kontakt zu treten. QYOBO hilft schlussendlich seinen Kunden, aus der Fülle der Marktinformationen die relevantesten, direkt umsetzbaren Inhalte (Stichwort „actionable market insights“) zu filtern und darauf aufbauend die nächsten Schritte in die Wege zu leiten.
Wie finanziert sich QYOBO?
QYOBO wurde im vergangenen Jahr mit einem EXIST-Stipendium des BMWi und weiteren Preisen ausgezeichnet. Darüber hinaus konnten wir uns im Startup-Wettbewerb der BASF weltweit gegen mehr als 100 Wettbewerber durchsetzen, woraus sich ein spannendes Pilotprojekt ergeben hat. Den Zugang zu unserer Plattform bieten wir in einem Software-as-a-Service- Modell an. Firmen können eine jährliche Lizenz erwerben, durch die sie uneingeschränkt auf unsere Plattform zugreifen können. Dabei ist uns wichtig, hervorzuheben, dass die Lizenz nicht auf einzelne Nutzer beschränkt, sondern immer für alle Mitarbeiter einer Firma zugänglich ist. Damit wollen wir dazu beitragen, die Zusammenarbeit an einer zentralen Informationsquelle zu stärken und repetitive, manuelle Workflows, beispielsweise in Excel oder Powerpoint, abzuschaffen.
Wie kam es zur Gründung von QYOBO?
Meine Mitgründer Julian Ruß, Eric Parzinger und ich haben QYOBO im vergangenen Jahr gegründet. Als ehemaliger Unternehmensberater bei McKinsey habe ich bei vielen Pharma- und Chemieunternehmen hautnah miterlebt, welche Herausforderungen es in der Branche gibt. Glücklicherweise konnte ich Julian und Eric dafür begeistern, gemeinsam eine Lösung zu finden. Beide sind passionierte und sehr erfahrene Entwickler und mit ihren Teams für die Datenaufbereitung bzw. die Weiterentwicklung der Plattform zuständig. Ich für meinen Teil widme mich strategischen und geschäftlichen Themen.
Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklungen und was sind die nächsten Schritte für QYOBO?
Im vergangenen Jahr haben wir bereits Pilotprojekte mit Weltmarktführern, u.a. mit BASF und namhaften europäischen Generikafirmen, durchgeführt und waren auf der weltgrößten Pharmamesse CPhI in Frankfurt vertreten. Daraus haben sich viele spannende neue Geschäftsbeziehungen über Europa hinaus, beispielsweise zu Lieferanten in China und Indien, ergeben. Aktuell dominiert natürlich die COVID-19-Krise unser operatives Geschäft, wobei wir einigen unserer Partner helfen, die Zuverlässigkeit der Lieferketten zu steigern, um einer weiteren Verknappung von Medikamenten entgegenzuwirken.
Im Mai 2019 wart ihr im Rahmen unseres Programms X-Linker zu Gast bei einem Networking-Event, bei dem sich Startups mit Corporates vernetzen konnten. Hat sich daraus etwas für euch ergeben?
Das hat sich für uns wirklich gelohnt: Wir sind in Kontakt mit einer großen Pharmafirma gekommen, mit der wir aktuell über eine Kooperation sprechen. Insgesamt war dieses Event eine gute Gelegenheit für den Austausch zwischen Startups und Corporates.
Was ist eure Vision für QYOBO?
Wir hoffen, dass sich unsere Kunden deutlich stärker auf spannende operative und strategische Themen konzentrieren können, indem ein Großteil der manuellen Arbeit durch intelligente Software ersetzt wird. Heute sind viele Analysen noch nicht möglich, weil Daten zwar vorhanden, aber aufgrund des enormen Aufwands nicht nutzbar sind. Durch die Erschließung dieser Informationen wollen wir dazu beitragen, dass die weltweite Versorgung mit Arzneimitteln und Chemieprodukten effizienter, sicherer und zuverlässiger wird.
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