Mit dem QR-Code ins Krankenhaus
Judith Hillen
In Restaurants und Cafés ist man es mittlerweile gewohnt, seine Kontaktdaten anzugeben, damit im Notfall Infektionsketten nachverfolgt werden können. Doch auch Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen stehen in besonderem Maße vor der Herausforderung, dafür zu sorgen, dass dokumentiert wird, welche Besucher zu welcher Zeit an welchem Ort waren. Das BesuchsSystem, das Michael Bingel und Guido Oberhäuser zusammen entwickelt haben, kann jedoch deutlich mehr, als nur die Kontaktdaten der Krankenhausbesucher zu speichern. Ein digitales Terminbuchungssystem erlaubt es, den Besucherstrom so zu regulieren, dass Infektionen so weit wie möglich verhindert werden. In diesem Interview erzählen die beiden Gründer des Startups, das Teil des Netzwerks 5-HT ist, wie Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen von dieser Lösung profitieren können und wie die Anwendung für Besucher funktioniert.
Michael Bingel und Guido Oberhäuser von BesuchssystemMit welchen Herausforderungen haben Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen aktuell zu kämpfen, wenn es um das Besuchermanagement geht?
Guido Oberhäuser: Die erste offensichtliche Herausforderung besteht darin, dass sie die Kontaktdaten der Besucher erfassen müssen, ähnlich wie gastronomische Betriebe. Krankenhäuser sind allerdings wesentlich komplexere Organisationen als Cafés oder Restaurants: Es gibt viele verschiedene Stationen und Zimmer, und es muss möglichst genau registriert werden, welcher Besucher wann wo war. All diese Daten müssen erst einmal erhoben und dann vier Wochen lang aufbewahrt werden. Wenn es zu einem Infektionsfall kommt, ist die Nachverfolgung der Kontakte anhand von Zetteln und Ordnern sehr aufwendig. Eine digitale Lösung kann den Mitarbeitern also viel Aufwand ersparen. Noch wichtiger ist es aber, schon im Vorfeld die Besucherströme so zu lenken, dass es relativ wenig Kontakt gibt und Infektionsketten gar nicht erst entstehen.
Wie hilft euer Besuchssystem dabei, Infektionsketten zu verhindern?
Guido Oberhäuser: Unser System macht es möglich, die Anzahl der Besucher nach einem individuellen Hygienekonzept zu steuern. Zum Beispiel kann man festlegen, dass nur ein Besucher gleichzeitig in einem Zimmer sein darf oder dass nur eine bestimmte Anzahl an Besuchern gleichzeitig auf einer Station erlaubt ist. Unterschiedliche Bereiche können dabei unterschiedlich behandelt werden. So kann zum Beispiel die Intensivstation komplett abgeschirmt werden, während Väter auf der Geburtsstation ein ständiges Besuchsrecht haben können. Die Vorgaben können auch situationsbezogen angepasst werden, sodass zum Beispiel die Besuchsregeln gelockert werden können, wenn ein Patient kurz vor dem Tod steht. Für die Umsetzung eines solchen Regelwerks braucht es ein entsprechendes Managementsystem, das trotz aller Komplexität sowohl für die Besucher als auch für die Mitarbeiter einfach zu handhaben ist.
Wie funktioniert euer System für Besucher in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen?
Michael Bingel: Zunächst bekommt der Patient oder Bewohner der Einrichtung von uns eine Anleitung mit einem Patientencode, den er an seine Angehörigen oder Freunde weitergeben kann. Diese können sich daraufhin auf einer Webseite als Besucher registrieren. Dafür müssen sie zunächst den Patientencode eingeben, damit wir wissen, dass sie ein berechtigtes Interesse an einem Besuch haben. Nach der Angabe der Kontaktdaten folgt ein kurzer Gesundheitscheck, der von Krankenhaus zu Krankenhaus unterschiedlich sein kann. Die Einrichtungen können die Fragen selbst definieren, zum Beispiel ob in den letzten 14 Tagen Kontakt zu einer positiv getesteten Person bestand oder ob Symptome wie Halsschmerzen oder Husten vorliegen. Besucher mit Symptomen werden nicht für Besuche zugelassen. Nach dem erfolgreichen Gesundheitscheck gelangt der Besucher zum Buchungskalender, in dem er einen verfügbaren Termin auswählen kann.
Guido Oberhäuser: Daraufhin erhält er einen QR-Code, den er über einen Link abrufen, aber auch als PDF-Dokument herunterladen und ausdrucken kann. Dieser Code wird am Eingang und Ausgang des Krankenhauses gescannt. Bei Pflegeheimen gibt es die Zusatzfunktion, nicht nur Besuchstermine, sondern auch sogenannte Ausgänge zu buchen, wenn man zum Beispiel einen oder zwei Bewohner zu einem Spaziergang abholen will. Für nicht internetaffine Besucher bieten die Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen in der Regel die Möglichkeit, die Anmeldung am Empfang nachzuholen. Außerdem hat unser Partner MUUUH! Next GmbH ein Sprachdialogsystem entwickelt, mit dem sich die Anmeldung vollständig per Telefon erledigen lässt. Dieses System testen wir voraussichtlich ab nächstem Monat.
Was müssen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen mitbringen, um das Besuchssystem erfolgreich zu implementieren?
Michael Bingel: Da wir eine Software-as-a-Service-Lösung anbieten, können Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sehr schnell mit der Nutzung unseres Systems starten. Alles, was wir benötigen, ist – neben Smartphones oder QR-Code-Scannern – die sogenannte Pförtnerliste. Darüber belegen wir die Zimmer, Stationen und Fachabteilungen. Mehr brauchen wir nicht, um Besuchsbuchungen und die spezifischen Besuchsregeln umzusetzen. Über die Standard-Schnittstelle HL7 kann das KIS des Krankenhauses aber auch direkt mit unserem System verbunden werden, sodass die Daten automatisiert übertragen werden.
Guido Oberhäuser: Darüber hinaus müssen selbstverständlich die Mitarbeiter auf den Stationen und am Empfang informiert und geschult werden. Manche Krankenhäuser erstellen dafür eigene Schulungsunterlagen, aber wir bieten bei Bedarf auch Online-Schulungen an. Die Einführung des Systems erfordert also am Anfang einen gewissen Aufwand, aber unsere Kunden berichten uns, dass sich nach drei oder vier Tagen alles eingespielt hat. Aufgrund der internen Abläufe dauert es in der Regel zwei bis vier Wochen, bis unser System in einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung einsatzbereit ist.
Wie kam die Idee für die Gründung eures Startups zustande?
Guido Oberhäuser: Im Mai hat mir meine Nachbarin, die in der Pflegedirektion der GFO-Kliniken in Bonn arbeitet, erzählt, dass wegen Corona nun ein Besuchskonzept auf die Beine gestellt werden sollte. Ich war vorher in der Unternehmensberatung tätig, und der Plan, die Kontaktdaten mit Stift und Papier zu erfassen, kam mir doch reichlich kompliziert vor. Deshalb habe ich Michael angesprochen, mit dem ich zu dieser Zeit bereits im Rahmen eines anderen Projekts zusammengearbeitet habe und der in der Startup-Szene sehr gut vernetzt ist, und habe ihn gefragt, ob er eine Lösung für dieses Problem kennt. Daraufhin recherchierte er und sagte zu mir: „Nein, das gibt es noch nicht – aber das können wir doch machen.“ Also habe ich zu meiner Nachbarin gesagt: „Wir bauen dir dieses System.“ Nachdem wir drei Wochen durchgearbeitet hatten, hatten wir ein MVP und sind im ersten Krankenhaus mit der Hälfte der Stationen live gegangen. Am Anfang saß ich selbst mit am Empfang und habe die Patienten ein- und ausgecheckt. Weil das gut funktioniert hat, haben wir nach drei Tagen das ganze Krankenhaus eingebunden. Über einen Kontakt von Michael haben wir unser System bald darauf auch im St. Marien Krankenhaus in Lampertheim eingesetzt. Einige Zeitungen haben über uns berichtet und andere Einrichtungen sind auf uns aufmerksam geworden, sodass wir heute bereits über 30 Kunden haben.
Michael Bingel: Was uns besonders wichtig ist, ist unsere absolute Kundenorientierung. Als Mentor in verschiedenen Programmen lerne ich immer wieder junge Startups kennen, die mit disruptiven Technologien starten und daraus ein Produkt entwickeln wollen. Bei uns war es anders herum – erst kam das Problem, dann die Technik. Wir haben immer sehr direktes Feedback von unseren Kunden bekommen, sodass wir unsere Lösung kontinuierlich verbessern konnten.
Was sind die nächsten Ziele für euer Startup?
Michael Bingel: Bald wollen wir deutschlandweit 100 Häuser haben, die unser System für ihr Besuchermanagement nutzen. Bislang haben wir schon über 65.000 Besuche erfolgreich durchgeführt, und in den nächsten Wochen werden wir täglich die 2.000er-Marke knacken.
Guido Oberhäuser: Wie bereits erwähnt, werden wir voraussichtlich nächsten Monat unseren Sprachbot veröffentlichen, damit die Mitarbeiter in den Einrichtungen nicht mehr die Anmeldung für die Besucher übernehmen müssen, die keinen Termin online vereinbart haben. Außerdem arbeiten wir daran, ein Schleusensystem zu entwickeln, sodass die Besucher mit ihrem QR-Code selbstständig ein- und auschecken können. Vor allem brauchen wir aber eine Vision, wie unser System nach Corona aussehen kann. Wir sind überzeugt, dass es auch in Zukunft eine gute Idee ist, in einer schützenswerten Umgebung wie einem Krankenhaus dafür zu sorgen, dass Besuche von außen limitiert und kontrolliert ablaufen. Vor Corona waren Krankenhäuser praktisch Teil des öffentlichen Raums, was für die Patienten nicht nur ein Gesundheits-, sondern auch ein Sicherheitsrisiko mit sich brachte. In keinem größeren Unternehmen kann man einfach so reinlaufen und bei einem beliebigen Zimmer an die Tür klopfen. Erst einmal muss man sich am Empfang anmelden, wird registriert und erhält einen Passierschein. Warum sollte das in einem Krankenhaus anders sein? In der Zukunft werden sicherlich einige Häuser überlegen, ob sie das Thema Besuch, das vor Corona extrem unreguliert war, nicht anders gestalten wollen.
Wie kann euch 5-HT bei eurer weiteren Entwicklung unterstützen?
Michael Bingel: Als Netzwerker ist Austausch für mich das A und O. Deshalb habe ich mit 5-HT Kontakt aufgenommen, weil ich mich gefragt haben, wie wir uns als Startup im Bereich Digital Health am besten vernetzen können. Zunächst einmal sind wir daran interessiert, im Ökosystem von 5-HT größere Bekanntheit zu erlangen und neue Kunden zu gewinnen. Aber das Netzwerk ist für uns auch eine tolle Möglichkeit, zu sehen, welche Entwicklungen gerade allgemein in der Branche stattfinden. Da ich bereits in verschiedenen Programmen als Mentor tätig war, bringe ich mich auch gerne selbst ein und teile meine Erfahrungen und mein Know-how mit jungen Startups, damit neue Ideen heranwachsen.
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