Im Labor Zeit sparen mit Wearables
Judith Hillen
Smartphones, Tablets und Computer nicht mehr per Hand bedienen, sondern nur einmal durch die Luft wischen und schon ist die Eingabe gemacht: Das ermöglicht das Karlsruher Software-Startup Kinemic mithilfe von Körpersensorik. Wie ihre Technologie beispielsweise die Arbeit im Labor erleichtern kann, erklärt einer der Gründer, Dr. Christoph Amma, im Interview mit 5-HT.
v.l.n.r. Christoph Amma, Fabian Clever, Marcus Georgi und Tomt LenzWas ist das Konzept von Kinemic?
Wir haben eine Methode zur industriellen Gestensteuerung entwickelt, damit sich digitale Geräte einfacher und ohne Berührung bedienen lassen. Das ist besonders interessant für Situationen, in denen das bisher Schwierigkeiten bereitet – zum Beispiel bei Produktionsanlagen, wenn der Angestellte ständig zwischen Werkstück und Terminal hin- und herlaufen muss, um eine Eingabe zu machen, oder im Labor, wo es strenge Hygienebedingungen gibt und eine berührungslose Interaktion viel Reinigungsaufwand sparen kann. Die Gestensteuerung macht die Arbeit in solchen Situationen effizienter. Damit erleichtert sie auch die Arbeit für den einzelnen Angestellten.
Wie wird das technisch umgesetzt?
Die Mitarbeiter tragen ein Armband, das Kinemic Band, das über Bewegungssensoren ihre Gesten registriert. Die bisherigen Methoden zur Gestensteuerung funktionieren im Gegensatz dazu über Kameras. Das macht allerdings nur in kontrollierten Umgebungen Sinn, zum Beispiel im Auto, wenn man genau weiß, wo der Mensch sich befindet. Aber wenn die betreffende Person sich in einer Produktionshalle oder einem Labor bewegt, kann es für eine Kamera schwierig sein, sie in jedem Moment zu erfassen. Das funktioniert mit Körpersensoren zuverlässiger.
Wie kann man sich die Gesten vorstellen, mit denen sich die Geräte steuern lassen?
Es gibt zehn Basisgesten. Was die einzelnen Gesten bedeuten, legt jedes Unternehmen selbst fest. Wir setzen das mit unseren Kunden gemeinsam um: In einem Workshop schauen wir uns die Anwendungen vor Ort an und überlegen uns, wie man das in Gesten abbilden kann. Bei manchen Gesten bieten sich bestimmte Funktionen intuitiv an – zum Beispiel kann das Wischen nach rechts „weiter“ bedeuten und das Wischen nach links „zurück“, oder mit einem Häkchen in der Luft kann man etwas auf einer Checkliste abhaken. Außerdem haben wir auch die AirMouse im Angebot: Damit kann man mit dem Arm einen imaginären Mauszeiger steuern, um zum Beispiel auf einem Plan zu navigieren oder ein 3D-Modell zu drehen.
Welche Geräte lassen sich mit dem Kinemic Band bedienen?
Prinzipiell kann man mit dem Kinemic Band alle Geräte steuern, die auf Android, Windows oder Linux basieren – das können Smartglasses und AR-Brillen, aber auch Tablets, Smartphones oder klassische PCs sein.
Für welche Anwendungen bietet sich die Nutzung an?
Im Labor kann das Kinemic Band genutzt werden, um die Dokumentation zu erledigen oder um Laborgeräte zu bedienen. Das kann besonders dann die Arbeit erleichtern, wenn man ansonsten einen hohen Reinigungsaufwand hätte oder sogar den Reinraum verlassen müsste, nur um eine Eingabe zu machen. Deshalb sehen wir großes Potenzial im Laborbereich und möchten hier gerne weitere Schritte machen. Bisher haben wir viel im klassischen Maschinenbau gearbeitet, vor allem in den Bereichen Montage, Instandhaltung und Qualitätssicherung. Es gibt also nicht nur eine einzige Anwendung, für die das Kinemic Band sinnvoll ist. Generell lohnt es sich immer dann, wenn es ansonsten schwierig ist, ein Interface zu bedienen, sei es wegen der Laufwege oder wegen der Berührung.
Wie kam es zur Gründung von Kinemic?
Kinemic ist ein Spin-off des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Ich habe am KIT Informatik studiert und dort auch promoviert. Mit zwei Kollegen, Marcus Georgi und Fabian Clever, hatte ich ursprünglich die Idee, zu erforschen, ob man mit Sensoren erkennen kann, wenn etwas per Hand in die Luft geschrieben wird. Diese Idee haben wir immer noch im Hinterkopf, aber unseren Fokus haben wir auf die Gestensteuerung verlagert. Das passierte zu der Zeit, als die Google Glass auf den Markt kam und Datenbrillen ein Hype wurden. Das hat uns beflügelt – wir wollten unsere Erkenntnisse aus der Forschung in die Praxis bringen. Als vierter Gründer kam schließlich Tomt Lenz hinzu, der den entsprechenden Business-Background mitbrachte. 2016 sind wir mit der EXIST-Forschungstransferförderung gestartet. Im gleichen Jahr sind wir auf der CEBIT zum ersten Mal an die Öffentlichkeit getreten. Da kam sogar die Bundeskanzlerin an unseren Stand, und wir haben die ersten Kunden akquiriert. Letztes Jahr haben wir dann unser Produkt gelauncht, und mittlerweile arbeiten wir zu zehnt an unserem Standort in Karlsruhe.
Wo seht ihr euch in fünf Jahren?
Gestensteuerung ist aktuell in der Industrie immer noch ein Nischenthema, viele wissen nicht, dass es das in dieser Form gibt und dass es robust funktioniert. Daher ist unser Nahziel, die Technologie noch bekannter zu machen und zu etablieren. Bei dieser Entwicklung wollen wir im Bereich der Körpersensorik der wesentliche Treiber sein. Wir wollen Standards setzen und immer einen Schritt voraus sein. Natürlich wollen wir auch weiter wachsen und insbesondere Produkte anbieten, die schon vorgefertigte Bausteine für verschiedene Funktionalitäten mitbringen, damit Kunden diese noch schneller und einfacher in ihre Prozesse und Software integrieren können.
Worauf seid ihr besonders stolz?
Besonders stolz sind wir darauf, dass wir es geschafft haben, von Beginn an große Unternehmen wie die Deutsche Bahn zu überzeugen. Schließlich ist es ja immer auch ein Risiko, einem Startup Vertrauen zu schenken. Zurzeit finanzieren wir uns komplett aus Umsätzen und haben schon einige tolle Projekte mit unseren Kunden umgesetzt.
Was waren eure größten Herausforderungen?
Als B2B-Startup haben wir am Anfang unterschätzt, wie lang die Zeiträume sind, die zwischen Erstkontakt und Verkauf vergehen. Wenn man startet und ganz schnell Dinge ändern will, wird man dadurch erst mal ausgebremst – damit muss man lernen umzugehen. Eine weitere Herausforderung bestand darin, dass wir aus der Forschung kommen. Deshalb mussten wir uns immer wieder fragen: Was braucht der Kunde eigentlich? Damit wir nicht Technologie zum Selbstzweck betreiben, sind für uns heute die Nähe zum Kunden und das Gespräch über die konkrete Situation vor Ort sehr wichtig.
Welche Tipps habt ihr für angehende Gründer?
Erstens: sofort raus zum potenziellen Kunden – und nicht denken, dass man es davor noch besser machen müsste. Lieber erst das nötige Feedback einholen und das Produkt dann in die richtige Richtung entwickeln, damit es für den Kunden auch relevant ist. Und zweitens: von Anfang an nichts verschenken – nicht auf Unternehmen eingehen, die sagen, wir sind so nett und testen das für euch kostenlos. Als Gründer sollte man dem, was man tut, auch über den Preis einen gewissen Wert beimessen.
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