Dieser Roboter hilft bei der Therapie von Handverletzungen

Judith Hillen

Startup Stories

Beim Gemüseschneiden mit dem Messer ausgerutscht – so schnell kann eine Sehne durchtrennt sein und eine Operation nötig werden. Die OP ist allerdings nur der erste Schritt auf dem Weg zur Genesung, denn im Anschluss daran ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Hand ihre Beweglichkeit behält und langsam wieder Kraft aufbaut. Dafür hat das Mainzer Startup LIME medical einen Therapieroboter entwickelt. Im Interview mit 5-HT stellt Désirée Leppla, zuständig für das Content Marketing bei LIME, die „AnyHand“ vor, die es Patienten mit Handverletzungen in Zukunft möglich machen soll, auch von zu Hause aus individualisierte Therapien durchzuführen.

Das Team von LIME medical

An welchem Problem setzt LIME an?

Jährlich gibt es in Deutschland bis zu 400.000 Handverletzte. Hauptsächlich geht es dabei um Arbeitsunfälle oder Unfälle im Haushalt, wenn sich zum Beispiel jemand eine Sehne durchtrennt hat und operiert werden muss. Vor allem im Anschluss an Handoperationen ist eine durchgehende Bewegungstherapie, begleitet von einem Ergo- oder Physiotherapeuten, notwendig, damit die Strukturen nicht versteifen und die Bewegungsfähigkeit langsam zurückerlangt wird. Erleidet ein Patient nach einem Schlaganfall eine Handparese, möchte man ebenfalls die Gelenke und Gewebe der Hand flexibel halten, damit sie funktionsfähig bleibt, wenn die Lähmung zurückgeht. In Deutschland gibt es allerdings nicht genügend Handtherapeuten, sodass die Patienten häufig lange auf einen Therapieplatz warten müssen. Auch wenn sie schließlich in Therapie sind, erhalten sie nicht so viel Therapiezeit, wie eigentlich nötig wäre. Hier setzt unsere AnyHand an: ein Therapieroboter, in den man die Hand einlegen kann und der daraufhin individualisierte Therapieprogramme durchführt.

Wie sieht die AnyHand aus – und wie kann man sich die Therapie mit einem Roboter vorstellen?

Die AnyHand besitzt fünf Silikonschlaufen, in die der Patient seine Finger hineinlegen kann. Bei der passiven Bewegungstherapie lässt der Patient die Hand locker und die AnyHand führt die Bewegungen durch. Dies dient dazu, Versteifungen vorzubeugen, zum Beispiel in der ersten Zeit nach einer OP. Bei der assistiven Therapie arbeitet der Patient selbst mit und die AnyHand unterstützt ihn dort, wo seine Kraft für bestimmte Bewegungen noch nicht ausreicht.

LIME medical AnyHand

Inwiefern ist die Therapie auf den individuellen Zustand des Patienten personalisierbar?

Vor der ersten Therapie misst der Ergo- oder Physiotherapeut mithilfe einer Schablone die Handgröße aus und gibt die Daten in das Gerät ein. Daraufhin wird eine Patientendatei angelegt, und die AnyHand fährt bei jeder Benutzung auf Knopfdruck in die richtige Position. Durch diese automatische Größeneinstellung, auf die wir auch ein Patent haben, ist sichergestellt, dass die AnyHand auf die Hand des Patienten angepasst ist. Was die Therapie selbst betrifft, gibt der Therapeut über eine App am Tablet die Rahmenbedingungen vor: Welcher Finger soll wie weit bewegt werden? Während der Anwendung werden Daten gesammelt, über die die Historie beobachtet werden kann. Die AnyHand ist zwar ein Gerät für eine breite Masse an Patienten und ein großes Spektrum an Handproblemen, aber durch diese technischen Möglichkeiten können wir trotzdem hochindividualisierte Therapien durchführen.

Welche Daten sammelt die AnyHand – und welche Erkenntnisse lassen sich daraus ziehen?

Die Sensoren erfassen, wie oft, wie lange und in welchen Programmen der Patient trainiert hat, und auch, zu welchem Grad er dabei seinen Bewegungsumfang ausgeschöpft hat. Außerdem kann der Patient selbst Feedback dazu geben, wie er das Training empfunden hat. Aktuell bauen wir das AnyNet aus, eine Cloud, in der diese Daten gesammelt werden, damit Ärzte, Therapeuten und Patienten darauf zugreifen können. Damit wollen wir alle beteiligten Akteure online vernetzen, sodass der Patient in Zukunft von zu Hause aus trainieren kann und dabei trotzdem von Therapeut und Arzt überwacht wird. Das ermöglicht auch punktgenaue Termine: Der Patient muss nicht automatisch alle vier Wochen zur Nachkontrolle kommen, sondern vereinbart genau dann einen Termin, wenn es sinnvoll ist.

Patienten profitieren natürlich von der gesteigerten Therapiezeit, denn dabei gilt: Viel hilft viel. Die Therapie mit der AnyHand beugt Versteifungen vor, die teilweise zu Folgeoperationen führen – was auch ein Problem für die Krankenkassen ist, denn Operationen sind teuer und verlängern die Rehabilitationszeit. Mit der AnyHand wollen wir die Arbeit von Ergo- und Physiotherapeuten nicht ersetzen, sondern ergänzen. Durch den Einsatz von Robotern sind die Therapeuten freigestellt für komplexere Aufgaben. Mit dem gleichen Personal können Kliniken und Praxen somit mehr Therapiezeit schaffen. Für das gesamte Team, auch für die beteiligten Ärzte, sorgt es außerdem für eine befriedigendere Arbeit, wenn man weiß, dass die Nachsorge sichergestellt ist. Von der AnyHand profitieren somit alle beteiligten Akteure.

Welche Vorteile bringt die Nutzung der AnyHand für die beteiligten Akteure – ob Patienten, Therapeuten, Ärzte oder Krankenkassen?

Wie kam es zur Gründung von LIME Medical?

Die beiden Gründer, Pascal Lindemann und Dominic Libanio, haben sich schon während der Schulzeit kennengelernt. Alles hat mit einem Projekt bei „Jugend forscht“ angefangen: Pascal hatte die Idee, eine Roboterhand zu entwickeln, die zum Beispiel im Weltraum eingesetzt und von der Erde aus gesteuert werden kann. Daraus entwickelte sich die Idee, eine Handprothese zu bauen. Pascal stellte das Projekt einem Handchirurgen der Universität Mainz vor, Dr. Eric Hanke, der meinte, es gebe in Deutschland nicht besonders viele Handamputationen. Was hingegen wirklich gebraucht werde, sei ein Gerät zur Unterstützung bei Handverletzungen. Das ist die Lücke, die wir schließen wollen.

Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklungen?

Im Oktober 2016 wurde LIME gegründet. Seitdem waren wir drei Jahre lang mit der Entwicklung beschäftigt. Weil die menschliche Hand aus vielen Gelenken, Muskeln und Sehnen auf kleinem Raum besteht, war es eine komplexe Herausforderung, dies auf einem alltagstauglichen Gerät abzubilden. Deshalb sind wir froh, dass wir diesen Meilenstein jetzt geschafft haben. Auch die Zertifizierung als Medizinprodukt war sehr aufwendig, und aktuell warten wir noch auf die letzten Schritte der Zulassung. In diesem Jahr soll der Markteintritt stattfinden. Hierfür sind wir bereits mit verschiedenen Kliniken und Therapiepraxen in Kontakt. Die Resonanz ist sehr positiv – wir merken, dass wir mit unserem Produkt eine große Nachfrage bedienen.

Wie soll die AnyHand finanziert werden?

Wir wollen, dass unser Produkt keine Privatleistung ist, sondern von der breiten Masse genutzt werden kann. Daher ist es für uns sehr wichtig, Ärzte, Therapeuten und Krankenkassen von den Vorteilen der AnyHand zu überzeugen. In der ersten Phase nach dem Markteintritt sollen zunächst Rehakliniken und Therapiepraxen das Gerät anschaffen und die Therapiezeit über Krankenkassen abrechnen. Die Patienten können die AnyHand dann vor Ort in der Klinik oder Praxis nutzen. In der zweiten Phase ist es unser Ziel, dass Sanitätshäuser die AnyHand kaufen und sie über die Krankenkassen an Patienten verleihen, sodass diese die Therapie eigenständig von zu Hause aus durchführen können.

Was ist eure Vision für die Zukunft?

Unsere Vision ist es, den Status quo der Handtherapie durch zusätzliche Therapiezeit neu zu definieren. Gleichzeitig werden wir ein digitales Ökosystem aus Ärzten, Therapeuten und Patienten schaffen, um die besten Ergebnisse für alle zu sichern.  

Wie war bisher die Zusammenarbeit mit dem 5-HT Digital Hub?

Die bisherige Zusammenarbeit war vertrauensvoll und konstruktiv. So konnten wir bereits unser Unternehmen und unsere Leistungen im Rahmen der 5-HT Veranstaltung "Health Fair for HealthCare" einer internationalen Delegation aus Südamerika und Osteuropa vorstellen und wertvolle Kontakte knüpfen.

Wo kann euch 5-HT auch in Zukunft weiterhelfen?

Wir hoffen durch das Netzwerk des 5-HT Digital Hubs unser Netzwerk noch stärker zu erweitern und Zugang zu relevanten Unternehmen und Investoren im Gesundheitswesen zu bekommen. Eine weitere Möglichkeit ergibt sich für uns durch die nächste 5-HT Veranstaltung „Insuring Digital Health“, bei der wir neben anderen Startups in einem individuellen Speed Dating Kooperationsmöglichkeiten mit Krankenkassen ausloten können. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit dem Team des 5-HT Digital Hubs.

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