Diese Plattform revolutioniert den Rohstoffeinkauf für die Pharma-, Lebens- und Futtermittelindustrie

Judith Hillen

Startup Stories

In der aktuellen Coronakrise kommt es bei einigen pharmazeutischen Wirkstoffen wie Paracetamol oder Zusatzstoffen wie Vitaminen bereits zu Lieferengpässen oder deutlichen Preisschwankungen. Hier kann der Rohstoff-Marktplatz Kemiex weiterhelfen: „Über unsere Handelsplattform lassen sich teilweise Produkte finden, die auf herkömmlichem Wege kaum noch zu bekommen sind“, sagt Marketingleiter Stefan Schmidinger.

Kemiex v.l.n.r. Pau Franquet, Stefan Schmidinger, Dr. André Rieks, Oriol Saludes

Das Schweizer Startup Kemiex ermöglicht es Unternehmen, ihre Rohstoffgeschäfte über eine cloudbasierte Softwareplattform zu verhandeln und abzuschließen. Wie dies den taktischen Einkauf effizienter macht, wie dabei die Qualität der Anbieter sichergestellt wird und wie die Mitglieder der Plattform außerdem von einem exklusiven Zugriff auf strategische Markt- und Preisdaten profitieren können, erklärt Stefan Schmidinger im Interview mit 5-HT.

Für welche Kunden ist Kemiex relevant?

Unsere Handels- und Informationsplattform richtet sich an professionelle Ein- und Verkäufer von aktiven pharmazeutischen Wirkstoffen (APIs), Vitaminen und anderen Zusatzstoffen in der Pharma-, Lebens- und Futtermittelindustrie. Auch Rohstoffe für Kosmetik, Flavours & Fragrances oder ähnliche technische Grades werden abgebildet. Dies schließt Hersteller und Verarbeiter dieser Rohstoffe, aber vor allem auch Händler und Distributeure ein.

Was ist problematisch daran, wie der Ein- und Verkauf von Rohstoffen in der Pharmabranche bislang abläuft?

In anderen Branchen, etwa in der Automobilbranche, im Einzelhandel oder auch im Finanzwesen, wird längst selbst bei komplexeren Produkten effizient über elektronische Kanäle gehandelt. Aber in der Chemie-, Pharma- und Lebensmittelindustrie läuft noch vieles über E-Mail, Telefon und teilweise sogar noch über Fax. Das ist sehr aufwendig und ineffizient, besonders bei Anfragen an mehrere Lieferanten. Weil alle Informationen bei einer einzigen Person im Postfach liegen, werden die Daten nicht strukturiert erfasst. Außerdem ist der Einkauf ein besonders gefährdeter Sektor, wenn es um Themen wie Compliance geht. Viele Unternehmen kaufen heute darüber hinaus nur bei einigen wenigen Lieferanten und Händlern ein, die sie kennen, was bei Lieferengpässen zum Problem werden kann.

Wie kann Kemiex als Tradingplattform den Ein- und Verkaufsprozess verbessern?

Wenn der Einkauf von Rohstoffen über unsere Plattform abgewickelt wird, spart dies Aufwand und macht den Prozess effizienter. Die Plattform ermöglicht auch eine Kommunikation ausschließlich mit bestehenden Lieferanten, falls dies gewünscht ist. Als Marktplatz eröffnet Kemiex zusätzlich das Potenzial, neue Gegenparteien kennenzulernen, auf die man sonst möglicherweise nicht aufmerksam geworden wäre. Wir hatten schon viele Situationen, in denen der Käufer einen Wirkstoff – etwa Paracetamol oder Ibuprofen – nirgends gefunden hatte, bei uns aber schon. Für Verkäufer bieten wir die einmalige Möglichkeit, Promotions- oder Überschussbestände per Knopfdruck und mit Identitätsschutz an teilweise Hunderte relevante Einkäufer zu platzieren.

Kemiex Plattform

Was unterscheidet Kemiex von bereits existierenden Onlineshops oder Lieferantenverzeichnissen?

Die Kombination von Ausschreibungssoftware mit elektronischem Marktplatz und Marktinformationen, wie sie Kemiex bietet, existiert in dieser Form noch nicht für die Branchen Pharma, Food und Feed. Die bisher existierenden Lieferantenverzeichnisse sind letztlich nicht mehr als Suchmaschinen, und über den größten Chemikalienmarktplatz der Welt, Alibaba, werden so gut wie keine professionellen Großmengen abgewickelt, auch weil dort viele zweifelhafte Anbieter aktiv sind. Was uns heraushebt, ist, dass wir als Marktplatz und Workflow-Tool geschlossen sind. In vielen Fällen kennen sich Käufer und Verkäufer bestens, profitieren aber von der unkomplizierten und strukturierten Abwicklung verglichen mit anderen Kommunikationskanälen. Aufgrund einer Qualitätsprüfung und einer Prüfung der Finanzkennzahlen entscheiden wir sehr genau, welche Anbieter wir aufnehmen. Das funktioniert über strategische Kooperationen mit dem Warenprüfkonzern SGS und dem Kreditversicherer Atradius. Wir sind nicht nur eine unabhängige Instanz, sondern auch die einzige Onlineplattform weltweit, die über ein Good-Distribution-Practice-Zertifikat verfügt und regelmäßig von der Schweizerischen Regulierungsbehörde Swissmedic inspiziert wird. Darüber hinaus erstellen wir Preisindizes für aktuell 22 Vitamine, Aminosäuren und Antibiotika und liefern damit für den strategischen Einkauf wertvolle Informationen. Die Angebote und Preise sind echt und weitaus aktueller als Daten aus Exportdatenbanken oder anderen zugänglichen Quellen. Durch unsere Mitarbeiter und Kunden auf der ganzen Welt sind wir außerdem in der Lage, hochaktuelle und sehr spezialisierte Industrienews abzubilden.

Wie funktioniert die Nutzung von Kemiex für Einkäufer?

Der Einkäufer stellt eine konkrete Produktanfrage in das Orderbuch, zum Beispiel 10 Tonnen Ibuprofen in einer bestimmten Ausführung und mit entsprechenden Bewilligungen. Daraufhin wird ihm eine Liste der infrage kommenden Anbieter angezeigt und er sucht aus, welche Hersteller, Händler und Distributeure seine Ausschreibung zu sehen bekommen sollen. Die potenziellen Anbieter, die der Einkäufer ausgewählt hat, werden daraufhin benachrichtigt und können auf der Plattform ihre Angebote abgeben. Der Einkäufer kann die Angebote sammeln, über strukturierte Methoden oder im Chat nachverhandeln und schließlich einen Deal abschließen. Durch unsere Kooperation mit Atradius können Transaktionen in der Plattform direkt gegen einen Zahlungsausfall des Käufers versichert werden. Den Zugang zur Plattform erlangen unsere Kunden über eine Mitgliedsgebühr, für die einzelnen Transaktionen fällt keine zusätzliche Gebühr an.

Wie kam es zur Gründung von Kemiex?

Vor fünf Jahren habe ich mit Pau Franquet, unserem Geschäftsführer und Hauptgründer, bei der Schweizer Bank UBS zusammengearbeitet. Dort haben wir uns besonders mit elektronischem Handel und Rohstoffbörsen beschäftigt. Aus der Pharmabranche im Umfeld von Zürich und Basel haben wir mitbekommen, dass dort Rohstoffe vor allem über traditionelle Kommunikationskanäle eingekauft werden. Daraufhin haben wir uns mit verschiedenen Akteuren ausgetauscht und haben erfahren, dass es für den Rohstoffhandel in den Pharma-, Lebensmittel und Futtermittelindustrien noch keine softwareunterstützte Lösung gibt. So entstand die Idee für Kemiex. 2017 haben Pau Franquet und Oriol Saludes unser Startup gegründet, bald darauf kam ich als Partner dazu. Im September 2018 haben wir die Plattform auf den Markt gebracht.

Kemiex Gründer Pau Franquet & Oriol Saludes

Wie hat sich die aktuelle Coronakrise auf das Geschäftsmodell von Kemiex ausgewirkt?

Viele unserer Kunden sitzen in Asien, daher merken wir schon seit Längerem die Auswirkungen des neuartigen Coronavirus. Im Januar haben wir unsere Kunden befragt, welche Folgen sie für ihre Geschäfte erwarten. 85 Prozent der Teilnehmer rechneten damals mit Engpässen im 1. und 2. Quartal des Jahres. Diese Umfrage hat uns viel mediale Aufmerksamkeit eingebracht. Aktuell beobachten wir tatsächlich, dass es bei einigen Produkten wie bei Paracetamol bereits Lieferverzögerungen gibt und dass Panikkäufe zunehmen. Hier überschreitet die Nachfrage auf Kemiex die Kapazitäten teilweise um das Drei- bis Vierfache. Auch Kunden, die normalerweise auf eine traditionelle Vermittlung über Makler setzen, wenden sich zurzeit verstärkt an Kemiex, weil sich über unsere Plattform teilweise noch Produkte finden lassen, die auf herkömmlichem Wege kaum noch zu bekommen sind. Auch die Tatsache, dass aktuell verstärkt digital gearbeitet wird, kommt unserem Geschäftsmodell entgegen. Trotzdem spüren wir, dass die Marktsituation insgesamt sehr angespannt ist und viele Marktteilnehmer sich nun erst einmal auf ihr Kerngeschäft fokussieren.

Was sind die nächsten Schritte von Kemiex?

Wir wollen noch stärker skalieren, uns weiter professionalisieren, unser Team vergrößern und noch mehr Kunden gewinnen. Derzeit befinden wir uns außerdem in den Vorbereitungen für eine Series-A-Finanzierungsrunde.

Kemiex Winner CPhI Pharma Award 2019

Was erhofft ihr euch davon, Teil unseres Digital Hub zu sein?

Netzwerke sind für uns sehr wichtig. Mit den wenigsten Plattformen stehen wir in direkter Konkurrenz, weil wir eine sehr spezielle Nische besetzen. Stattdessen teilen wir uns mit anderen Startups das Ziel, die Digitalisierung voranzubringen. Deshalb müssen wir zusammenhalten und uns miteinander austauschen, um auf gute Ideen zu kommen. Auch um potenzielle Kunden kennenzulernen, sind Netzwerke für uns von besonderer Bedeutung, denn gerade im B2B-Geschäft sind persönliche Kontakte das A und O.

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