Chemische Biologie für die Wirkstoffentwicklung im Zeitalter der Genomforschung

Katharina Kittelberger

Startup Stories

Die Chemische Biologie spielt in der heutigen Wirkstoffentwicklung eine entscheidende Rolle, denn sie schließt die Lücke zwischen der modernen Genomforschung und dem sowohl gesellschaftlichen als auch wirtschaftlichen Anspruch, aus diesem Wissen neue Medikamente zu entwickeln. 

Unser Netzwerkstartup biotx.ai befasst sich mit genau dieser Thematik, denn seit seiner Gründung im Jahr 2017 fokussiert sich das Potsdamer Gesundheitsstartup auf die effiziente Wirkstoffentwicklung neuer Medikamente. 

Anlässlich bisheriger Forschungslücken in der chemischen Fachliteratur veröffentlichte Marco Schmidt, Chief Scientific Officer bei biotx.ai, kürzlich sein Buch „Chemische Biologie und Wirkstoffentwicklung“. Dieses thematisiert die neuen Herausforderungen in der Wirkstoffentwicklung, welche die Chemische Biologie zu beantworten versucht. Im Fokus stehen vor allem die neuen Ansätze der Wirkstoffentwicklung vom Gen zum Medikament. 

Auch 5-HT sieht auf diesem Gebiet enormes Innovationspotenzial. Im exklusiven Interview mit Marco Schmidt beleuchtet dieser die Thematik genauer und fasst neben seinen Beweggründen zur Erstellung des Buches auch die wichtigsten Erkenntnisse seiner Publikation zusammen. 

Der Anreiz „Chemische Biologie und Wirtstoffentwicklung“ zu verfassen

„Die Entwicklung neuer Medikamente wird immer schwieriger. Der Grund hierfür ist einerseits, dass wir die klinische Wirkung von Medikamenten nicht vorhersehen können. Andererseits, dass die bisherige Entwicklung reduktionistisch ist. 
Man reduziert ein komplexes System wie das des Menschen in viele kleine Einzelteile und wenn der Wirkstoff in den vielen kleinen Experimenten funktioniert, sollte er auch beim Mensch funktionieren. Leider ist das nicht der Fall“, so Marco.  

Seiner Auffassung nach sollte hier eine holistischere Sichtweise eingenommen werden: „In der Chemischen Biologie versucht man ganze biologische Systeme zu verstehen, indem diese Systeme reversibel mit Wirkstoffen manipuliert werden. Hier aufzuklären in der Hoffnung, dass sich was in der Industrie verändert, war meine Motivation das Buch zu schreiben.“

Ein Vergleich der Ansätze von Holismus (systembasiert) und Reduktionismus (komponentenbasiert)

Welche Rolle die Genomforschung für die Wirkstoffentwicklung spielt

„Obgleich die Genomforschung aus der Wirkstoffentwicklung nicht mehr wegzudenken ist, konnten die Erwartungen des Human Genome Project wie beispielsweise eine Heilung für jede Krankheit zu finden bis heute leider nicht erfüllt werden.“   

Die Gründe hierfür erläutert Marco folgendermaßen: „Das liegt daran, dass genomische Daten für die Analyse wegen ihrer hochdimensionalen Struktur (geringe Anzahl von Patienten, aber mindestens 200 Millionen Unterschiede im Genom) extrem schwierig zu analysieren sind. Man müsste beispielsweise 500 Millionen Mal die Erdbevölkerung sequenzieren, um eine genügend statistische Population zu haben, um zweifache Interaktionen im Genom analysieren zu können.“

Aus dieser beschrieben Problematik resultiert er: „Wir brauchen algorithmische Lösungen, um für jede Krankheit eine Heilung finden zu können.“

Inwiefern DNA, RNA und Proteine für die Wirkstoffentwicklung relevant sind

  • „Im Kapitel „DNA“ wird insbesondere auf die Rolle der Genomik zur Vorhersage der Wirkung von Medikamentenkandidaten in klinischen Studien eingegangen. Dabei wird das Problem der Hochdimensionalität genomischer Daten erklärt. 
    Darüber hinaus ist die DNA nicht nur Träger der Erbinformation, sondern auch Ziel in der Wirkstoffentwicklung wie Genomeditierung CRISPR/Cas oder Gentherapie zeigen.“

Das Zentrale Dogma der Molekularbiologie beschreibt die Übertragung der Information von der DNA über die RNA hin zum Funktionsträger Proteine, die durch die Reihenfolge (Sequenz) der jeweiligen Monomeren (Nukleotide bei DNA und RNA; Aminosäuren bei Proteinen) determiniert ist. Die drei Biopolymere können in ihrer Funktion durch chemische Verbindungen bzw. durch biochemische Verfahren für chemisch-biologische Experimente beeinflusst werden
  • „Die RNA ist Informations- und Funktionsträger zugleich. Insbesondere in der Genregulation wie der RNA Interferenz (RNAi) wurden mehrere Wirkstoffe erfolgreich zugelassen. Gleichwohl besitzt die mRNA ein riesiges Potential in der Medikamenten- und vor allem in der Impfstoffentwicklung wie BioNTech und Moderna bei COVID-19 zeigen konnten.“

  • „Peptide und Proteine können Wirkstoffe aber auch Wirkstoffziele sein. Daher wird zunächst deren Synthese als Grundlage vermittelt. Im Weiteren werden die Teildisziplinen Chemische Genomik, Chemische Proteomik und Chemische Genetik erörtert und die Grundlagen der Pharmakologie vermittelt.
    Zum Schluss werden Beispiele gezeigt, wie die Chemische Biologie nicht nur Signalwege aufklären kann, sondern auch wie neue Wirkstoffkonzepte bessere Therapien ermöglichen.“

Neue Herausforderung in der Wirkstoffentwicklung

Genau zu definieren welche diese ist, fällt Marco nur allzu leicht: „Die Herausforderung besteht zweifelsfrei darin, neue molekulare Entitäten jenseits niedermolekularer Verbindungen und Antikörper als Medikamente zu etablieren. In der Corona-Krise hat dies mit den neuen mRNA-Impfstoffen bereits sehr gut funktioniert.“

Dabei können neue Technologien wie CRISPR/Cas oder die Proteindegradierer erstmals zentrale Krankheitsmechanismen modulieren, besser als das mit niedermolekularen Verbindungen oder Antikörpern der Fall ist. 
„Dennoch bleibe ich dabei, dass wir die Wirkung auch dieser neuen Wirkstoffe in klinischen Studien vorhersagen müssen. Klinische Studien sind der limitierende Faktor und erst, wenn wir dieses Problem gelöst haben, kann für jede Krankheit eine Heilung gefunden werden.“

Aus „Chemische Biologie und Wirkstoffentwicklung“ generierte Chancen für die Gesundheitsindustrie

„Wenn wir durch die Chemische Biologie einerseits die Wirkung von neuen Medikamenten bereits vor der klinischen Erprobung realistisch einschätzen können und andererseits uns Medikamente mit neuen Wirkmechanismen wie CRISPR/Cas zur Verfügung stehen, sollte die Entwicklung neuer Medikamente schneller und günstiger möglich sein als bisher. 
Insbesondere Patienten, die an selteneren Erkrankungen leiden, werden enorm profitieren, weil die Entwicklung auch für kleine Patientengruppen profitabel ist.“

Mit Blick in die Zukunft fasst Marco schließlich zusammen: „Ich kann mir sogar vorstellen, dass das die gesamte Industrie verändert: Weg von einer kleinen Zahl großer Konzerne, hin zu einer Vielzahl mittelständischer Unternehmen, da die Eingangsbarrieren der hohen Kapitalkosten sinken.“

Sollten die Inhalte des Buches Ihr Interesse auf mehr geweckt haben, können Sie die volle Ausgabe von „Chemische Biologie und Wirkstoffentwicklung“ hier kostenpflichtig erwerben. 

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