Wie sich menschliche Wahrnehmung digitalisieren lässt

Judith Hillen

Startup Stories

Riechen, schmecken, sehen, fühlen: Alles, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können, will Genie Enterprise in digitale Anwendungen überführen. Obwohl das Startup, das Teil des Netzwerks von 5-HT ist, seinen Sitz in den USA hat, finden alle Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in unmittelbarer Nachbarschaft des Digital Hub im Regionalen Innovationszentrum Ludwigshafen TZL statt. Hier forscht Genie Enterprise an verschiedenen Themen aus dem Bereich der menschlichen Sensorik und entwickelt KI-Lösungen für Kunden aus unterschiedlichen Branchen. Im Interview mit 5-HT geben CEO und Gründerin Regina Keßler und CTO Thomas Keßler Einblicke in die Arbeit von Genie Enterprise und stellen dabei auch ihr neues Produkt Heartbeat vor, mit dem sie die individuelle Gesundheitsvorsorge verbessern wollen.

Genie Enterprise Thomas Keßler, Regina Keßler, Jean-Paul Okada

Was ist die Idee von Genie Enterprise?

Regina Keßler: Genie Enterprise digitalisiert menschliche Wahrnehmung und Expertenwissen. Wir übersetzen alles, was wir riechen, schmecken, sehen und fühlen können, in Lösungen für Kundenprobleme. Unser erstes Produkt war WineGenie, ein digitaler Sommelier für personalisierte Weinempfehlungen. Mittlerweile arbeiten wir jedoch auch über die Lebensmittelindustrie hinaus an vielen verschiedenen Projekten, etwa im Chemie- oder Gesundheitsbereich.

Thomas Keßler: Unser Geschäftsmodell basiert auf drei Säulen. Erstens haben wir unsere eigenen Produkte, wie zum Beispiel WineGenie oder unser neues Medizinprodukt Heartbeat, bei dem wir gerade noch am Anfang der Entwicklung stehen. Zweitens stellen wir fertige Bausteine bereit, die unsere Kunden in ihre Anwendungen integrieren oder ergänzend dazu nutzen können. Drittens bieten wir Consulting-Dienstleistungen an und führen Auftragsarbeiten durch. Durch diese drei Säulen identifizieren wir interessante Themen aus der Praxis und finanzieren unsere umfangreichen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Dabei handelt es sich sowohl um Masterarbeiten in den Bereichen Data Science und KI, die bei uns im Startup geschrieben werden, als auch um größere, öffentlich finanzierte Forschungsprojekte in Zusammenarbeit mit verschiedenen Forschungsinstituten.

Wie kam es zur Gründung von Genie Enterprise?

Thomas Keßler: Alles hat angefangen mit unserem digitalen Weinsommelier WineGenie. Traditionellerweise verkostet ein Sommelier verschiedene Weine, beurteilt den Geschmack eines Kunden und empfiehlt aufgrund dessen ein passendes Produkt. Wir haben uns überlegt, wie wir diesen Beruf digitalisieren können. Als wir erkannten, dass wir dafür Sensoren brauchen, die riechen und schmecken können, haben wir angefangen, in diesem Feld zu forschen. Bald darauf begannen wir, uns damit zu beschäftigen, wie sich mithilfe von Sensorik auch in anderen Bereichen die menschliche Wahrnehmung digitalisieren lässt.

Regina Keßler: Vor zwei Jahren haben wir unser Unternehmen schließlich in den USA gegründet, weil wir dort im Vergleich zu Deutschland einen größeren Markt für unser Produkt sahen. Die Forschung und Entwicklung findet allerdings vollständig in unserer Niederlassung in Ludwigshafen statt, da wir hier den Zugang zu einem exzellenten Forschungsnetzwerk und zu hochqualifizierten Fachkräften aus aller Welt haben.

Mit eurem neuen Produkt Heartbeat bewegt ihr euch nun in den Gesundheitsbereich hinein. Worum geht es bei diesem Projekt?

Thomas Keßler: Im Zuge von #WirVsVirus- und #EUvsVirus-Hackathons, an denen wir während der Coronakrise teilgenommen haben, ist ein neues Forschungskonsortium rund um das Thema Gesundheitsvorsorge entstanden. Unsere Idee ist es, die menschliche Wahrnehmung des Gesundheitszustands einer Person zu digitalisieren. Häufig merkt man intuitiv, wenn es einer anderen Person nicht gut geht, weil zum Beispiel die Stimme oder die Mimik anders sind als normal. Diese Aspekte wollen wir in ein digitales Tool überführen, das den Normalzustand einer Person kennenlernt und mithilfe von Video, Mikrofon und Smart Wearables registriert, wenn sich etwas daran verändert, zum Beispiel in der Mimik, in der Stimme, an den Atemgeräuschen oder an der Hautfarbe. Aufgrund dieser Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands kann die App dann die Empfehlung geben, einen Arzt aufzusuchen. Das kann sinnvoll sein, weil viele Menschen nicht gut genug auf sich selbst achten oder sich nicht sicher sind, ob sie „krank genug“ sind, um zum Arzt zu gehen. Unser Medizinprodukt geht weiter als bereits etablierte Fitnesstracker, weil wir schwer messbare Merkmale, wie zum Beispiel die Stimmfarbe mit einbeziehen. Für dieses Projekt sind wir aktuell auf der Suche nach Partnern im Gesundheitsbereich und in der Industrie, die gemeinsam mit uns an der Forschung, Entwicklung und Implementierung arbeiten wollen.

Welche Projekte habt ihr im Service-Bereich bereits mit euren bisherigen Kunden umgesetzt?

Thomas Keßler: Für einen Hersteller landwirtschaftlicher Maschinen haben wir zum Beispiel eine Lösung für die Planung und Dokumentation des Einsatzes von Chemikalien in der Landwirtschaft entwickelt: Unterstützt von Sensordaten erhält der Kunde Empfehlungen, wann welche Chemikalien in welcher Kombination ausgebracht werden sollten. Für die Automobilindustrie entwickeln wir gerade ein Sensorsystem, um die Prüfung der Geruchsqualität von Kunststoffteilen im Innenraum von Fahrzeugen zu digitalisieren. Darüber hinaus arbeiten wir zurzeit für einen Heizungsbaukonzern an einer Lösung, um die Wartung ihrer Produkte zu optimieren. Die Bandbreite an möglichen Industrien und Anwendungen ist also sehr groß.

Wie unterscheiden sich eurer Erfahrung nach deutsche und US-amerikanische Kunden voneinander?

Regina Keßler: In Deutschland scheuen Unternehmen häufig davor zurück, ein Digitalisierungsprojekt zu starten. Dagegen ist es in den USA leichter, die Industrie von neuen Ideen zu überzeugen. Bei den aufgeschlosseneren Unternehmen in Deutschland erleben wir aber auch, dass das Thema Digitalisierung durch die Coronakrise enorm an Bedeutung gewonnen hat. Deshalb hoffen wir, dass diese Offenheit für neue Ideen auch in Zukunft erhalten bleiben wird.

Was sind die nächsten Ziele für Genie Enterprise?

Thomas Keßler: Aktuell bereiten wir einige Projekte für Kunden vor, die wir in der Coronakrise neu hinzugewonnen haben. Außerdem stehen die letzten Vorbereitungen und Genehmigungen für verschiedene Forschungsprojekte rund um die menschliche Sensorik aus. Für die Erforschung komplexer Lebensmittelaromen haben wir zum Beispiel mit dem Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier, dem Kunststoffinstitut Lüdenscheid und dem Fraunhofer IIS in Erlangen bereits starke Partner gefunden. In einem weiteren Forschungsprojekt zum Thema Federated Learning wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir es schaffen können, aus lokal gespeicherten Daten auf einer übergeordneten Ebene etwas zu lernen, während wir gleichzeitig den Datenschutz wahren.

Regina Keßler: Sobald diese Forschungsprojekte starten, werden wir unser Team sicherlich verdoppeln. Außerdem haben wir die Coronakrise genutzt, um uns Gedanken über die Professionalisierung unserer Prozesse zu machen und unsere Corporate Identity zu schärfen. Wir haben also ein prall gefülltes Portfolio an bevorstehenden Projekten und warten nur darauf, dass die Startschüsse kommen.

Was erhofft ihr euch für die Zukunft von der Kooperation mit 5-HT?

Regina Keßler: Da wir mit unserem neuen Produkt Heartbeat nun in den Gesundheitsbereich einsteigen, freuen wir uns über Möglichkeiten zum fachlichen Austausch. Hierbei würden wir gerne mehr darüber lernen, auf welche besonderen Gegebenheiten wir in der Branche achten müssen und welche Fallstricke wir vermeiden können. Wir sind aber auch offen dafür, andere Startups zum Beispiel bei Fragen zu KI und Machine Learning zu unterstützen oder gemeinsam mit ihnen ihr Business Model zu besprechen. Da wir schon einige Jahre Berufserfahrung hinter uns haben, stehen wir gerne als Mentoren zur Verfügung, denn Networking heißt schließlich, sich gegenseitig zu unterstützen und auch die Ideen der Anderen voranzubringen.

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