Diese digitale Plattform könnte die Lieferantenqualifizierung in der Pharmaindustrie revolutionieren

Judith Hillen

Startup Stories

In der Life-Science-Branche ist die absolute Kontrolle über die Qualität der verarbeiteten Rohstoffe von äußerster Wichtigkeit. Für Pharmaunternehmen ist es jedoch häufig sehr aufwendig, sicherzustellen, dass die Rohstoffe zur Herstellung von Arzneimitteln die notwendige Qualität vorweisen und dass die Lieferanten sich an die gesetzlichen Anforderungen halten. So ist es in den letzten Jahren zu vermehrten Chargenrückrufen gekommen. Allein im ersten Halbjahr 2019 hat die US-Gesundheitsbehörde (FDA) bereits über 30 Rückrufe pharmazeutischer Produkte aufgrund von Qualitätsmängeln registriert. Das Frankfurter Startup ChemSquare bietet mit seiner gleichnamigen Plattform nun eine Möglichkeit, die Qualitätssicherung entlang der Supply Chain auszulagern und zu vereinfachen. Wie das funktioniert und welche Vorteile es für Pharmaunternehmen hat, erklärt Gründer David Schneider im Interview mit 5-HT.

Florian Hildebrand (l.) + David Schneider (r.)

Kurz gesagt, was macht Chemsquare?

Wir unterstützen die Pharmaindustrie dabei, Lieferketten sicherer und transparenter zu machen, indem wir die Akteure innerhalb der Lieferkette miteinander verbinden und die Auslagerung von Lieferantenaudits vereinfachen. Pharmaunternehmen sind verpflichtet, ihre Rohstofflieferanten regelmäßig zu auditieren, um die Leistungsfähigkeit ihrer Lieferanten gewährleisten zu können.  Dafür können sie entweder eigene Auditoren beschäftigen, oder sie können das an uns outsourcen.

Welche Risiken gibt es für Unternehmen der Pharmabranche entlang der Supply Chain und warum ist Qualitätsmanagement so wichtig?

Die Schäden, die durch verunreinigte Rohstoffe entstehen können, sind immens. Sie reichen von Produktrückrufaktionen bis hin zum Tod von Patienten. Das kann wiederum zu Imageschäden für das Unternehmen führen. Pharmaunternehmen sind deshalb auch per Gesetz verpflichtet, regelmäßig zu überprüfen, ob sich ihre Lieferanten an die rechtlich vorgegebenen Qualitätsanforderungen halten. Zu den Audits, die wir bei den Lieferanten durchführen, gehört das Prüfen von Waren über Dokumente und Zertifikate, aber auch das Überprüfen des Herstellungsprozesses für bestimmte Produkte. Somit können wir Missstände in Wertschöpfungsprozessen aufdecken und entsprechende Verbesserungspotenziale identifizieren.

Warum sollten Pharmaunternehmen die Lieferantenqualifizierung an ChemSquare auslagern, statt sie selbst durchzuführen?

Hauptsächlich lassen sich dadurch Arbeit und Kosten sparen. Viele Pharmaunternehmen sind zu sehr ausgelastet, um alle Lieferanten zu auditieren, die sie eigentlich auditieren müssten, weil sie nicht die notwendigen Ressourcen für die Einstellung von Auditoren und ihr kontinuierliches Training haben. Bei uns geht das günstiger und unkomplizierter. Ein Kunde muss zum Beispiel nicht unbedingt ein eigenes Audit durchführen, sondern kann sich mit anderen Interessenten zusammenschließen oder einen bereits vorliegenden Bericht nutzen, wenn wir den Lieferanten bereits für einen anderen Kunden auditiert haben. Außerdem haben viele Rohstofflieferanten ihren Sitz im Asien. Im Normalfall muss das Pharmaunternehmen dann seine eigenen Auditoren dorthin fliegen lassen. Wir beschäftigen allerdings viele lokale Auditoren in verschiedenen Ländern, sodass kaum Reisekosten anfallen. Darüber hinaus übernehmen wir auch den aufwendigen Prozess, der auf die eigentliche Auditierung folgt: Der Lieferant nimmt Stellung dazu, wie die im Audit festgestellten Mängel behoben werden sollen. Das Pharmaunternehmen muss daraufhin kontinuierlich überprüfen, welche Aufgaben bereits erledigt wurden und was noch aussteht. Diesen ganzen aufwendigen Prozess nehmen wir unseren Kunden ab.

Den gesamten Auditierungsprozess organisiert ihr über eine digitale Plattform. Welche Vorteile bringt das?

Die Plattform ist eines unserer wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zu anderen Wettbewerbern. Auf unserer Plattform kann der Kunde einfach nach einem Lieferanten suchen und sehen, ob schon ein Audit verfügbar oder geplant ist, oder andernfalls direkt eines in Auftrag geben. Dann wird automatisiert ein Angebot erstellt, sodass er sofort einen All-inclusive-Preis sieht. Außerdem kann der Kunde auf der Plattform alle relevanten Dokumente einsehen, etwa den Audit-Bericht oder geprüfte Dokumente. Es gibt auch einen Überblick, an welcher Stelle im Prozess man sich gerade befindet, zum Beispiel ob bereits ein Audit-Datum feststeht oder ob noch Dokumente fehlen. Alles ist sehr übersichtlich, einfach zu verwalten und zentral an einer Stelle verfügbar.

Wenn ein Pharmaunternehmen die Auditierung an einen externen Partner wie ChemSquare auslagert, wie kann es sich darauf verlassen, dass die Qualität sichergestellt ist?

Ein hoher Qualitätsstandard stellt in unserem Geschäftsmodell eine zentrale Vorraussetzung dar. Aus diesem Grund haben wir selbst als Startup eine eigene Qualitätsabteilung, die sich um unser eigenes Qualitätssystem kümmert und gleichzeitig die Qualifizierung unserer Auditoren verantwortet. Die Qualität unserer Audit-Berichte hängt nämlich von der Qualität unserer Auditoren ab – deshalb ist die Auditorenqualifizierung für uns ein Kernprozess. Unsere Auditorenprüfung ist vierstufig: Erstens wird der Lebenslauf überprüft, zweitens folgt eine Selbstauskunft des Auditors, wobei es um seinen akademischen und beruflichen Hintergrund geht und darum, wie er sich in bestimmten Situationen verhalten würde. Daraus wird ein Score berechnet. Liegt der Score über einem Mindestwert, findet im nächsten Schritt ein Skype-Interview statt. Wenn der Fall nicht ganz eindeutig ist, gibt es anschließend noch eine Case Study. Zu Beginn wird der Auditor auch häufig bei einem Audit begleitet. Zuletzt werden die Audit-Berichte immer von unserer Qualitätsabteiliung überprüft, bevor sie dem Kunden zur Verfügung gestellt werden.

Wie kam es zur Gründung von ChemSquare?

Die Idee ist im September 2017 über einige Umwege aus meiner Promotion an der TU Darmstadt im Bereich Informationssysteme und digitale Plattformen entstanden. Bald kam auch Florian Hildebrand als Zweitgründer mit dazu. Zunächst hatten wir die Idee, eine Online-Handelsplattform für die Chemieindustrie aufzubauen. Für Rohstoffe hat das allerdings nicht gut funktioniert, unter anderem weil die Margen so gering sind, dass es wenig Raum für eine Plattform mit Provisionen gibt. Deshalb haben wir unseren Fokus auf die Spezialchemie verlagert. Dort haben wir allerdings festgestellt, dass der Preis gar nicht so entscheidend ist, sondern dass es vielmehr darum geht, ob der Lieferant bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllt. Weil wir gesehen haben, wie wichtig die Qualitätssicherung ist, wollten wir helfen, diesen Prozess zu vereinfachen. In Gesprächen mit Unternehmen haben wir dann erfahren, dass vor allem die Auditierung ein großes Thema ist. Im Dezember 2018 sind wir dann mit unserem neuen Geschäftsmodell, der Plattform für Lieferantenaudits in der Pharmaindustrie, an den Markt gegangen.

Was sind eure nächsten Schritte?

Aktuell ist unser Ziel, erst einmal eine stabile Position im deutschen Markt zu bekommen. Wir treiben auch zunehmend die Automatisierung unserer internen Prozesse voran, sodass zum Beispiel die Angebotserstellung vollständig automatisiert abläuft. Außerdem wollen wir ab nächstem Jahr versuchen, auch in anderen europäischen Ländern Kunden zu gewinnen.

Zusammen mit elf anderen Startups habt ihr im Mai 2019 an unserem Programm X-Linker teilgenommen, bei dem es verschiedene Mentoring-Sessions gab und bei dem sich Startups mit Investoren und Corporates vernetzen konnten. Was hat euch die Teilnahme an dem Programm für eure Entwicklung gebracht?

Wir haben wertvolle Kontakte in die Industrie geknüpft. Aktuell sprechen wir mit einem der Unternehmen, die beim X-Linker teilgenommen haben, darüber, für sie ein Testaudit durchzuführen – als Vorab-Qualifizierung sozusagen. Für uns war es auch interessant, die Ökosysteme von anderen Startups kennenzulernen. Durch X-Linker ist unser Netzwerk insgesamt sehr gewachsen. Wir sind zum Beispiel auf ein Startup-Event an der Hochschule Fresenius aufmerksam geworden, wo aktuell eine Gruppe von Studierenden an einer Case Study zu unserem Unternehmen arbeitet.

Was ist eure Vision für die Zukunft von ChemSquare?

Wir wollen die kontinuierliche Lieferantenqualifizierung als Service anbieten: Unsere Kunden sollen diese Aufgaben vollständig an uns auslagern können. Wir kümmern uns um alles, was dazugehört. Langfristig wollen wir global tätig sein und können uns auch vorstellen, unser Serviceportfolio für weitere Stakeholder auszuweiten, wie zum Beispiel für Auditoren und Lieferanten.

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