"Der Rettungsdienst wird in Deutschland bei der Forschung wenig bis gar nicht gefördert"

Ronja Schrimpf

Startup Stories

Und das ist ein Problem: Wie Medical Cooling mit Beatmungsgeräten den Rettungsdienst revolutionieren kann

Nach einer Reanimation oder einem Schlaganfall ist die Erstversorgung ausschlaggebend dafür, ob ein Mensch überlebt und welche Schäden er möglicherweise davonträgt. Dennoch wird der Rettungsdienst im deutschen Gesundheitswesen sehr stiefmütterlich behandelt, kritisiert Fabian Temme, CEO und Gründer von Medical Cooling. Sein Startup entwickelt Beatmungsgeräte, die die Patienten kühlen und damit vor weiteren Hirnschäden bewahren. Wie frustrierend es sein kann, ein Startup in Deutschland aufzubauen, aber auch mit welcher Überzeugung Fabian Temme weiterhin an seiner Idee feilt, erzählt er im Interview mit 5-HT.

Fabian TemmeFabian Temme, CEO und Gründer von Medical Cooling

Was genau macht Medical Cooling?

„Wir haben Beatmungsgeräte entwickelt, die die Patienten durch die Zugabe von kalter Atemluft kühlt. Dadurch verlangsamt sich der Stoffwechsel im Gehirn und es stirbt weniger Gewebe ab. Medical Cooling entwickelt also Medizintechnik für den Rettungsdienst, die Hirnschäden vermeidet und dadurch die Überlebungschancen erhöht. Nach einer Reanimation überlebt jeder sechste Patient zusätzlich, das sind pro Tag ungefähr 45 Menschen in Deutschland. Bei Patienten mit Schlaganfällen sind die Daten noch nicht eindeutig, aber auch da könnten Hirnschäden vermieden werden. Aus anderen Studien lässt sich außerdem vermuten, dass dadurch die Kosten für Krankenkassen und Pflegeversicherungen pro Patienten um ungefähr zehn Prozent sinken, da es weniger neurologische Schäden gibt, die behandelt werden müssen.“

Von wem können diese Beatmungsgeräte genutzt werden?

„Von der Anwendung her ist das Gerät primär für den Rettungsdienst konzipiert worden. Dort ist die Kühlung durch unsere Geräte sehr wichtig, weil die bisherigen, herkömmlichen Methoden vom Rettungsdienst nicht genutzt werden können. Leider wird der Rettungsdienst deutlich stärker reguliert als Krankenhäuser. Daher werden wir unsere Geräte vielleicht auch noch auf Krankenhäuser ausweiten müssen.“

Was unterscheidet eure Geräte denn von den herkömmlichen Methoden?

„Bisher wird in den meisten Fällen gar nicht gekühlt. Wenn doch gekühlt wird, dann wird meist eine sogenannte kalte Infusion genutzt. Doch die kann zu weiteren Herzstillständen und zu Lungenödemen führen. Deshalb ist die kalte Infusion nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen sollte man auf die gekühlte Beatmung setzen.“

KältekammerKältekammer

Und wie funktioniert dann euer Beatmungsgerät?

„Im Rettungsdienst ist nicht genug Strom vorhanden, um die Beatmungsluft einfach abzukühlen. Deshalb arbeiten wir mit flüssigem Sauerstoff, der nur noch geringfügig erwärmt werden muss. Das klingt einfach, ist jedoch in der technischen Umsetzung ziemlich kompliziert. Man benötigt ein tiefkaltes System, doch die meisten Ventile sind nicht für tiefkalte Substanzen gedacht. Außerdem ist es sehr aufwendig, einen Luftstrom mit der richtigen Temperatur genau zu dosieren.“

Die Lösung von Medical CoolingDie Lösung von Medical CoolingMedical Coolings Produkt AIRCHILLMedical Coolings Produkt AIRCHILL

Wie entstand die Idee zu Medical Cooling?

„Ich habe Maschinenbau studiert und mich schon immer für Technik interessiert. Als Zivildienstleistender habe ich außerdem als Rettungssanitäter gearbeitet. Ich bin auch selbst Rettungswagen gefahren und hatte viele Transporte mit Patienten, die Hirnschäden hatten. Laut den medizinischen Leitlinien wird empfohlen, die Patienten zu kühlen, um weitere Schäden zu vermeiden. Das bedeutet, dass es nach aktuellem medizinischem Forschungsstand als sinnvoll erachtet wird, die Patienten zu kühlen. Obwohl diese Empfehlungen schon lange in den Leitlinien stehen, wird das bisher nicht flächendeckend angewendet, weil die Kosten nicht erstattet werden.

Zuerst wollte ich die gekühlte Infusion auf den Markt bringen, weil in diesem Bereich die Datenlage besser war. Als die klinischen Studien gezeigt haben, dass dadurch die Gefahr eines weiteren Herzstillstands oder eines Lungenödems steigt, habe ich die Idee wieder verworfen. Stattdessen versuchte ich es mit diesen Beatmungsgeräten. Wir haben selbst zwei Studien dazu gemacht, die belegen, dass durch unsere Geräte die Hirnaktivitäten tatsächlich gekühlt werden. Gegründet habe ich Medical Cooling dann im April 2019, aber an der Idee dazu habe ich über zwölf Jahre lang gearbeitet.“

Und wie sieht der Rest eures Teams aus?

„Wir sind zwei Hauptberufliche, drei Nebenberufliche und ein Medizinprofessor, der zu dem Thema selbst bereits viel veröffentlicht hat und uns fachlich begleitet. In unserem Team arbeiten neben mir ein Volkswirt, ein Ingenieur, ein Jurist und ein Mathematiker, der auch als Steuerberater arbeitet.“

Welche Tipps hast du für andere Startup Gründer?

„Wir haben anfangs den Fehler gemacht, uns zu sehr auf die Forschung zu konzentrieren und zu wenig nach Investoren gesucht. Ohne Mittel geht aber gar nichts, deshalb sollte man sich von Anfang an um ausreichende Mittel kümmern. Man stellt sich das vorher einfach vor, aber in Deutschland ist es unglaublich schwierig, genügend Gelder zu bekommen. Außerdem sollte man schnell ein internationales Netzwerk aufbauen, da im Ausland Vieles zuverlässiger und schneller funktioniert als in Deutschland.“

Was sind eure nächsten Ziele? Welche Herausforderungen müsst ihr dazu bewältigen?

„Aktuell arbeiten wir hauptsächlich daran, Gelder zu bekommen, um die nächsten Schritte überhaupt realisieren zu können. Denn unsere Geräte können momentan noch nicht genutzt werden, da sie nicht serienfertig produziert werden und noch nicht zugelassen sind. Sobald wir Gelder bekommen, können wir die Geräte serienfertig entwickeln und für den Rettungsdienst zulassen.

Außerdem arbeiten wir daran, dass die Kosten der Geräte für den Rettungsdienst erstattet werden, denn nur so kann sich der Rettungsdienst diese Geräte überhaupt leisten. Der Rettungsdienst könnte sich unsere Geräte zwar kaufen, würden aber auf den Kosten sitzen bleiben. Das ist ein Grund, warum viele Investoren erst gar nicht in unser Gerät investieren. Der Marktzugang ist momentan einfach zu schwierig.“

Ihr habt eine Technik entwickelt, die vermutlich viele Menschenleben retten würde und sich durch keine andere ersetzen lässt. Warum ist es dann so schwer, Gelder zu akquirieren?

„Wenn sich bei Schlaganfallpatienten ähnliche Vorteile wie bei Reanimationspatienten ergäben, könnten unsere Geräte für Krankenkassen und Pflegeversicherungen bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr an Einsparungen ermöglichen. Das klingt nach sehr viel Geld, aber tatsächlich reichen diese Einsparungen nicht aus, um von oberster Ebene Gehör zu finden. Stattdessen werden diese Themen auf untere Ebenen verwiesen, die selbst nur wenige Möglichkeiten und nicht die Mittel haben, um eine Veränderung durchzusetzen. Das ist schlichtweg nicht der Schwerpunkt der aktuellen Politik.

Dazu kommt, dass der Rettungsdienst in Deutschland auf Länderebene organisiert wird. Die Bundesländer können entscheiden, ob unsere Beatmungsgeräte als Medizintechnik oder als Arzneimittel gewertet werden. Es kann also sein, dass unser Produkt in Baden-Württemberg ein Arzneimittel ist und in Nordrhein-Westfalen Medizintechnik oder genau andersrum. Teilweise verweisen die Länder die Aufgaben sogar auf die Kommunen, die selbst nur sehr wenig Forschungsetat haben.

Außerdem ist die Abrechnung von solchen Geräten im Moment sehr kompliziert. Der Rettungsdienst rechnet nach zurückgelegten Kilometern und nach Fahrzeugtyp ab. Die Geräte, die vom Rettungsdienst benutzt werden, werden aber nicht gesondert abgerechnet. Weil diese Abrechnung so kompliziert ist, wird aktuell nicht in Rettungsdiensttechnik investiert. Zudem wird in Europa generell wenig Geld in Medizintechnik investiert. Das ist zum Beispiel in den USA oder in China ganz anders.“

Wir sprechen viel von Geldern – Aber heißt es nicht: ‚Jedes Menschenleben zählt‘?

„Solange dafür niemand Geld ausgeben muss, ja. Der Wert eines Menschenlebens zeigt sich dann, wenn man Geld benötigt, um dieses Leben erhalten zu können. Es ist frustrierend, dass wir so viel Arbeit und Ressourcen in Medical Cooling stecken, und am Ende sogar noch draufzahlen. Noch frustrierender ist aber, dass Menschenleben anscheinend keine 900€ wert sind, die benötigt werden, damit immerhin jeder sechste Patient zusätzlich überleben kann. Denn, heruntergerechnet auf den einzelnen Patienten, kostet eine Behandlung durch unsere Geräte gerade einmal 150€.

Aber ich bereue nicht, Medical Cooling gegründet zu haben. Ich stehe weiterhin voll hinter der Idee. Ich hatte bisher noch keine andere Idee, die in der Lage wäre, die Welt derart positiv zu beeinflussen. Aber ich hätte mir Vieles einfacher und zuverlässiger gewünscht.“

Was sollte sich an der aktuellen Situation konkret ändern?

Im Rettungsdienst sollte es Möglichkeiten geben, moderne Technik abzurechnen. Nur so können mehr Patienten gerettet werden. Für uns speziell sollte es außerdem eine adäquate Ausstattung mit Forschungsmitteln und eine größere Planbarkeit dieser Mittel geben.

In Deutschland wird nicht versucht, Forschungsergebnisse tatsächlich umzusetzen. Der Staat kauft lieber von etablierten Firmen und fördert Startups bei der Gründung und Entstehung nicht. Für uns wäre ideal, wenn sich ein Bundesland uns annehmen würde und ein Pilotprojekt ausrollt. Nur so kämen wir auch an die Daten von tatsächlichen Patienten des Rettungsdiensts. Und so können die Geräte auch wirklich zum Einsatz kommen.

Daher würde ich mich in Zukunft über vernünftig dimensionierte klinische Studien freuen. Dazu kommt, dass im Rettungsdienst in Deutschland wenig geforscht wird. Da sehe ich noch ein großes Potential – auch im Sinne der Patienten.“

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